Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)
die seine Worte aus einem trostlosen, gesicherten Leben herausgerissen hatten, er nahm diese Frau in den Arm, die sein Leben einmal ein klein wenig wärmer, ein klein wenig menschlicher gemacht hatte, der beizende Geruch aus der Fischerhütte haftete ihr noch an, er hielt sie fest, und sie zitterte ein bisschen.
Ihre Frisur war anders. Helga hatte ihr die Haare kurz geschnitten, am Kopf sah Andrea aus wie ein Junge und auch ein paar Jahre jünger.
Du bist vielleicht gar nicht so alt, sagte der Junge, als er sie so aus der Nähe betrachtete, und da lachte sie. Kaum etwas ist für den Menschen so wichtig wie lachen, na ja, weinen auch, es ist viel wichtiger als Sex, geschweige denn Macht, Geld, diese Teufelsspucke in unserem Blut; wer nie lacht, wird im Lauf der Zeit zu Stein. Andrea lachte, und die Kluft, die das Leben aus unbegreiflicher Gnadenlosigkeit zwischen ihnen aufgerissen hatte, schloss sich mit einem Ruck, wenn auch nicht ganz.
Andrea arbeitet nun in der Gastwirtschaft für zwei, und das ist gelegentlich auch nötig, denn an manchen Tagen ist ganz schön was los, die Seeleute lassen sich gern von Andrea bedienen, sie sind ganz hingerissen von ihren schnellen, unbefangenen Bewegungen und dem Bubikopf. Die Wärme, die Menschen schön macht, zieht sie an, manche sitzen ganz still da und hoffen auf ein Wort oder wenigstens einen Blick von ihr. Selbst Kolbeinn bekommt fast so etwas wie gute Laune. Du solltest hier einziehen und mich heiraten, sagt er. Wozu denn in diesem Kellerloch verkümmern? Sie lächelt, obwohl er es nicht sehen kann, und flirtet mit dem alten Steinbeißer mit den nutzlosen Augen; er sieht weder ihr Lächeln noch die Schatten auf ihrem Gesicht, wenn das Leben – sobald einmal wenig zu tun ist – sie mit seinen bohrenden, grausamen Fragen heimsucht.
Ich gehe, hat sie zu Pétur gesagt.
Du gehst? Du gehst überhaupt nirgendwohin!
Ich gehe.
Ich verbiete es dir.
Ich bestimme selbst über mich, sagte sie und staunte ein bisschen über sich selbst. Sie wusste nicht, woher sie die Worte nahm, es war, als hätte jemand anders für sie gesprochen, und Pétur wurde innerlich steinhart.
Du gehst nirgendwohin, Frau. Wo solltest du auch hingehen, und was hast du überhaupt auf einmal? Haben wir denn nicht alles, und tue ich nicht alles, was getan werden muss? Nur wenige Männer fangen mehr als ich, und bald, ja, schon diesen Sommer werde ich uns auf dem Hof ein neues Haus bauen. Das hast du nicht gewusst, was? Ich wollte es nicht zu früh sagen, und überhaupt sollte man nicht über Dinge schwatzen, sondern sie tun.
Ich gehe trotzdem, Pétur, und zwar morgen, in der Frühe, wenn ihr auf See seid.
Sie waren wieder einmal im Verschlag, der Salzfischstapel war so angewachsen, dass Pétur sich auf die Zehenspitzen stellen musste, um richtig in sie einzudringen, aber es war einfach so schön, es im Stehen zu machen, so irre schön, und er sagte ihren Namen, als es ihm kam, er sagte ihren Namen und versuchte, noch schneller zu stoßen, ohne aus dem Gleichgewicht zu kommen, zweimal sagte er vor Erregung ihren Namen, und ihr traten ein paar Tränen in die Augen, denn das hatte er noch nie getan, jedenfalls nicht währenddessen, sonst hatte er bloß gestöhnt, und jetzt am Ende musste er es tun, jetzt, wo es zu spät war, als wollte er alles nur noch schwerer machen, dabei war es doch weiß Gott schon schwer genug. Als er fertig war, fing er gleich an, den Stapel zurechtzuklopfen, als schäme er sich für seine Gefühlsaufwallung. Andrea wischte sich sorgfältig ab, brachte ihre Kleidung in Ordnung und sagte dann, dass es vorbei sei. Ich gehe, und er wusste sofort, was sie damit meinte, aber am besten tut man so, als hätte man keine Ahnung, worum es geht, wenn das Leben um einen herum in tausend Stücke fällt.
Was sollen wir denn essen, wenn wir vom Fischen zurückkommen?, fragte er schließlich geradezu triumphierend. Du wirst doch wohl kaum wollen, dass wir hungern!
Für den Anfang kann sich Guðrún um euch kümmern. Ich rede mit ihr.
Guðrún! Bist du nicht ganz gescheit?
Guðrún ist deine Nichte, du bist mit ihr verwandt.
Die kommt mir nicht über die Schwelle dieser Hütte! Eher sterbe ich, als dass ich Guðmundur diesen Trumpf in die Hand spiele.
Sterben vor Hunger?, fragte sie und konnte ihre Kaltblütigkeit nicht zurückhalten. Dann wirst du das eben müssen, sagte sie, als er keine Antwort gab, sondern immer weiter auf den Stapel eindrosch, als ginge es vorrangig darum, ihn in Form
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