Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
Vom Netzwerk:
das Kündigungsschreiben von Jens.
    Wie soll man daraus schlau werden?, meinte er. Soll man das eine Schrift nennen? Dennoch begriff er, was er verstehen wollte, brummte etwas davon, dass das nicht der korrekte Weg sei, lächelte aber auch, obwohl kaum sichtbar, in sich hinein und sah durch den Jungen hindurch, als wäre er gar nicht vorhanden, und wedelte mit der Hand in Richtung einer Frau mittleren Alters, als der Junge sagte: Entschuldigung, ich weiß, es ist eigentlich schon Abend, aber ich würde gern gleich noch drei Bücher kaufen. Um seinen Wunsch zu bekräftigen, holte er sein Geld aus der Tasche, das kam ihm irgendwie sicherer vor.
    Bücher, sagte die Frau mit dem breiten Gesicht unfreundlich und bog den Kopf zurück, als wäre es ihr unangenehm, den Jungen so nah vor sich zu haben. Bücher? Jetzt? So spät?
    Ja, antwortete er und wies unwillkürlich sein Geld vor.
    Weißt du mit dem Geld da nichts anderes anzufangen, als Bücher dafür zu kaufen?, fragte sie, griff aber gleichwohl nach der Münze. Der Junge kauerte sich vor die Bücherregale und musste sich dazu seitwärts an den Borden mit Arzneimitteln vorbeischieben, um heranzukommen. Sanft und liebevoll strich er über die Buchrücken und bewegte die Lippen beim Lesen der Titel.
    Ich brauche meine Zeit für anderes, als mich hier bei dir aufzuhalten, sagte die Frau. Noch dazu am Abend. Normal ist das nicht.
    Der Junge gab keine Antwort, sondern sog tief den starken Medizingeruch ein. Das hilft mindestens die nächsten zehn Jahre gegen jede Grippe, dachte er und entschied sich am Ende für drei Bücher, Hamlet, Prinz von Dänemark , eine Tragödie in der Übersetzung von Matthías Jochumsson, die Odyssee von Homer, der genauso blind wie Milton gewesen war, als der sein Verlorenes Paradies geschrieben hatte. Beide waren sie Dichter, die nach Wörtern suchten, die die Rolle der Augen übernehmen mussten und an die Stelle des Lichts traten, das sie verloren hatten. Das dritte Buch war Svanhvít. Ausländische Dichtungen in isländischer Übersetzung von Matthías Jochumsson und Steingrímur Thorsteinsson . Der Preis lag etwas über dem, der auf Marías verlorenem Zettel angegeben gewesen war, mit dem er hatte anschreiben lassen sollen; doch damit hatte der Junge gerechnet und Geld von Helga bekommen, nachdem er ihr kurz beschrieben hatte, wie María über Bücher und Dichtung sprach, was er in ihren Augen gesehen und dass er den Zettel verloren hatte. So, hm, hatte Helga nur gesagt und ihm gegeben, was er brauchte. María bekommt somit vier Bücher, das vierte ist eine Sammlung mit Kurzgeschichten von Gestur Pálsson, dessen Bruder manchmal im Obergeschoss eines Hauses nicht weit von hier festgebunden wird.
    Welchen Nutzen hat das hier denn?, fragte die Frau und nahm wie zufällig das Buch mit den Gedichtübersetzungen in die Hand.
    Welchen Nutzen hat das Leben?, fragte der Junge zurück.
    Bücher bringen einen jedenfalls nicht um den Schlaf, sagte die Frau verärgert, als hätte ihr die Literatur irgendwann einmal übel mitgespielt, aber sie lag völlig falsch, der Junge verbrachte die halbe Nacht damit, Gedichte abzuschreiben, dabei hätte er Schlaf bitter nötig gehabt, er war noch immer übermüdet, fühlte sich betäubt vor Müdigkeit, machte gegen drei Uhr das Licht aus, schlief sofort ein, stürzte ab wie ein vom Himmel geschossener Vogel und träumte von Hjalti, der erfroren in Schnee und Sturm lag. Teufel auch, sagte der kräftige Mann, da musste ich also sterben, und jetzt ist alles vorbei, dabei hätte ich vorher gern mit einer Frau geschlafen, einmal, das fühlt sich so warm an, viel wärmer und weicher als der Tod. Hast du übrigens meinen Hund gesehen? Nein, sagte der Junge, und augenblicklich wurde es leer und einsam um ihn. Dann begannen die Wiesenhöcker zu wachsen, anfangs flache Buckel schossen aus der Erde, und die mit den grünen Augen ging zwischen diesen Bülten umher, ließ die Blicke schweifen, als wäre ihr Interesse auf gar nichts gerichtet, aber die andere mit den blaugrauen Augen war auch da. Ich möchte im Sommer bei Sonnenschein reiten, sagte sie. Ja, aber ich suche nur nach Hjaltis Hund, erwiderte der Junge. Darum bin ich hier, aus keinem anderen Grund.
    Als der Junge am nächsten Morgen nach unten kam, nachdem er richtig ausschlafen durfte – gegen acht tauchte er endlich auf –, da empfing ihn Helga mit den Worten: Wir wollten es dir gestern Abend nicht sagen, weil wir dich nicht vor dem Schlafengehen beunruhigen

Weitere Kostenlose Bücher