Das Herz des Mörders (17) - Imitation in Death (Death 17)
die Umstände, in denen er lebt.«
»Hat er noch Kontakt zu Ihnen?«
»Er schickt mir jedes Jahr Blumen zum Geburtstag und eine Weihnachtskarte, wie es sich gehört.«
»Dann haben Sie beide also auch jetzt noch eine innige Beziehung?«
»Innig?« Gable rümpfte die Nase, als hätte sie etwas Unangenehmes gerochen. »Ich habe von meinen Chargen ebenso wenig Zuneigung erwartet und gewünscht wie Sie von Ihren Untergebenen, Lieutenant Dallas.«
»Was haben Sie erwartet?«
»Gehorsam, Respekt und Disziplin.«
Sie klang weniger wie eine Kinderfrau als wie ein Offizier bei der Armee, trotzdem nickte Eve. »Und all diese Dinge hat Renquist an den Tag gelegt?«
»Selbstverständlich.«
»Gab es bei Ihnen körperliche Züchtigungen?«
»Wenn es angemessen war. Ich habe die disziplinarischen Maßnahmen, die ich zu meinem und zum Wohl meiner Schützlinge ergriffen habe, stets an das jeweilige Kind und an die von ihm begangene Verfehlung angepasst.«
»Und welche disziplinarischen Maßnahmen haben Sie gegenüber Niles ergriffen?«
»Er hat am besten darauf reagiert, wenn man ihm etwas versagt hat. Freizeit, Gesellschaft, Unterhaltung. Wenn er diese Dinge nicht bekam, hat er erst versucht zu streiten, dann geschmollt, am Ende aber hat er sich gefügt. Wie alle meine Chargen hat er bereits nach kurzer Zeit gelernt, dass inakzeptables Verhalten Konsequenzen hat.«
»Hatte er Freunde?«
»Er hatte eine angemessene Zahl ausgewählter Spielkameraden und Bekannter.«
»Von wem wurden die ausgewählt?«
»Von mir oder von seinen Eltern.«
»Wie sah seine Beziehung zu seinen Eltern aus?«
»Sie war so, wie sie sein sollte. Ich verstehe nicht, welche Bedeutung diese Fragen haben sollen.«
»Wir sind gleich fertig. Hatte er irgendwelche Haustiere?«
»Soweit ich mich entsinne, hatte die Familie einen Hund. Einen kleinen Terrier oder etwas in der Art. Sarah, seine kleine Schwester, war ganz vernarrt in dieses Tier, sie war untröstlich, als es fortgelaufen ist.«
»Wie alt war Renquist, als der Hund weggelaufen ist?«
»Zehn, elf, zwölf, ich weiß nicht mehr genau.«
»Was war mit dem jungen Mädchen, Renquists Schwester? Was können Sie mir über sie erzählen?«
»Sie war ein mustergültiges Kind. Gehorsam, still und wohlerzogen. Vielleicht ein bisschen linkisch, und sie hat häufig unter Alpträumen gelitten, aber davon abgesehen war sie ein fügsames und gutmütiges Kind.«
»Was meinen Sie mit linkisch?«
»Sie hat eine Phase durchgemacht, in der sie ständig über ihre eigenen Füße fiel oder sich an irgendwelchen Gegenständen stieß. Immer hatte sie irgendwelche Kratzer oder blauen Flecken. Auf meine Empfehlung sind die Renquists mit ihr zum Augenarzt gegangen, aber sie hat tadellos gesehen. Sie schien einfach etwas unkoordiniert und vielleicht ein bisschen nervös zu sein. Irgendwann hatte sie die Phase dann überwunden.«
»Wann, würden Sie sagen, war das?«
»Ungefähr mit zwölf, also in einer Zeit, in der die meisten jungen Mädchen ihre Grazie verlieren, entwickelte
sie wahre Anmut. Die Pubertät ist eine schwierige Entwicklungsphase für die meisten, Sarah aber blühte damals richtiggehend auf.«
»Und zur selben Zeit, als sie Anmut entwickelte und nicht mehr ständig mit Kratzern und blauen Flecken durch die Gegend lief, kam ihr Bruder ins Internat nach Eton. Stimmt’s?«
»Ich glaube, ja. Dass ich mich ihr uneingeschränkt widmen konnte, hat ihr sicherlich dabei geholfen, ein sichereres Auftreten und Selbstbewusstsein zu entwickeln. Wenn das alles ist -«
»Nur eins noch. Können Sie sich daran erinnern, ob in der Zeit, als Sie bei den Renquists waren, noch irgendwelche anderen Tiere, vielleicht in der Nachbarschaft, entlaufen sind?«
»Das kann ich nicht sagen. Die Haustiere anderer Leute gingen mich nichts an.«
»Konntest du mir folgen?«, wollte Eve von ihrem Gatten wissen, als sie wieder draußen auf dem Gehweg standen.
»Sicher. Du versuchst herauszufinden, ob Renquist in der Kindheit unter einer weiblichen Autoritätsperson gelitten, ob er seine kleine Schwester misshandelt und - wie es bei Serien- oder Folterkillern oft der Fall ist - irgendwelche Tiere gequält oder getötet hat.«
»Die Antworten der Alten hätten aus einem Lehrbuch stammen können«, stimmte Eve ihm zu. »Nur, was etwas seltsam war, sie schien gar nicht zu kapieren, worum es bei den Fragen ging. Entweder ist sie also wirklich völlig ahnungslos, ein bisschen dämlich, hat etwas vor uns zu verbergen,
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