Das Herz des Ritters
solcher Heißblütigkeit fragt sich ein Mann – ja, selbst ein König –, womit diese Frau eine solche Leidenschaft erweckt hat; was sie an sich hat, das es wert ist, für sie zu töten.«
Zahirahs Magen krampfte sich zusammen, als sie sich der Bedeutung von Richards Worten vollends bewusst wurde. Es folgte ein unangenehmer Moment, in dem sie nichts anderes wahrnehmen konnte, als sein lüsternes Lächeln und die rotgoldene, feindliche Mauer, die er darbot. Durch den Lärm des Kampfes auf der Ebene hinweg vernahm sie das hektische Schlagen ihres Herzens und eine leise Stimme, die sie an ihre eigene jahrelange Kampfausbildung erinnerte und ihr Strategien und Möglichkeiten zuflüsterte.
Hier, am helllichten Tag, nur wenige Schritte entfernt von seinem Heer, lud der König sie in sein Bett ein. Schwer wie ein Stein lag ihr dieser Gedanke im Magen, denn sie musste daran denken, wie treu ergeben Sebastian diesem Mann war. Sein Leben würde er für einen Lord opfern, der ihn leichten Herzens betrügen wollte. Doch so angewidert sie auch war, ein Teil von ihr – der kühlere Teil ihres Wesens, der darauf gedrillt war, jeden Vorteil zu nutzen, um ihre Mission zu erfüllen – sah in diesen Worten einen Wink des Schicksals. Dieser Teil flüsterte ihr zu, dass es ihre größte Chance – vielleicht ihre einzige Chance – war, ihre Verpflichtung gegenüber ihrem Clan zu erfüllen.
»Ihr müsst nicht fürchten, dass Montborne davon erfährt«, hörte sie den König wie aus weiter Ferne sagen. »Es können gewisse Arrangements getroffen werden … vielleicht eine Mission zu einer der Küstenfestungen oder ein kleinerer Feldzug, der ihn für einige Tage beschäftigt. Die Entscheidung überlasse ich ganz Euch.«
Doch Zahirah hörte ihm schon gar nicht mehr zu. Ihre Gedanken rasten, insgeheim wog sie alle Möglichkeiten ab und bezog auch den vorteilhaften Umstand mit ein, dass der König in diesem Moment Schulter an Schulter neben ihr saß, unbewacht, und sein Dolch an seinem juwelenbesetzten Wehrgehänge in ihrer Reichweite war. Unauffällig, ohne sich zu bewegen, ließ sie den Blick zu dem goldenen, mit reichen Schnitzereien versehenen Griff der Waffe gleiten und konnte ihn schon fast in der Handfläche spüren. Ein kurzer Satz, und sie hielte ihn in der Hand. Und schon einen Herzschlag später könnte sie ihm das Messer in die Brust rammen.
Die Ritter auf dem Übungsfeld waren zu weit entfernt, um sie aufhalten zu können. Bis sie ihre Tat bemerkten, wäre es längst zu spät und ihr König nicht mehr zu retten. Dennoch würde sie den Soldaten nicht entkommen können. Auch wenn sie anfänglich vor Schock wie betäubt wären, wäre ihr letztendlich der Tod durch ihre Klinge sicher.
Sie würde Sebastian nie wiedersehen …
Zahirah versuchte, die schreckliche Erkenntnis zu verdrängen und bemühte sich, ihre Gedanken allein auf das zu konzentrieren, weswegen man sie hergeschickt hatte. Auf die Mission, die ihr Heimatland befreien und mit der sie ihre Pflicht als Tochter Raschid ad-Din Sinans erfüllen würde. Sebastian würde sie sicherlich abgrundtief hassen, wenn er die hässliche Wahrheit erfuhr. Sie versuchte sich einzureden, dass ihr Herz keinen Grund hatte, den unausweichlichen Verlust seiner Liebe zu beklagen. Sie hatte nie ein Anrecht darauf besessen. All ihre Willenskraft zusammennehmend, versuchte sie, sich zum Handeln zu überwinden, die günstige Gelegenheit zu ergreifen und sie zu nutzen – ohne Rücksicht auf die Folgen. Reglos saß sie da, jeder Muskel angespannt und bereit, loszuschlagen, nur noch um Haaresbreite davon entfernt, sich auf den König zu stürzen und sein Leben zu beenden, so, wie sie es geschworen hatte.
Aber sie konnte es nicht.
Oh Allah, wenn sie zuvor noch daran gezweifelt hatte, so wusste sie es nun mit unleugbarer Klarheit. Der Gedanke, Sebastian und seine Liebe durch diese Tat zu verlieren, ließ sie erkennen, dass ihr Schwur einen zu hohen Preis forderte. Sebastians Vertrauen war ein zu kostbares Geschenk, das sie nicht aufgeben wollte, auch wenn sie es nicht verdiente.
In diesem Moment des Zögerns begriff sie, dass sie nicht wie eine Assassinin fühlte und dachte, sondern schlicht wie eine Frau.
Ihr Magen zog sich krampfhaft zusammen, als sie sich der gewaltigen Ausmaße dieses Eingeständnisses bewusst wurde. Mit einem Mal war ihre ganze Welt aus den Fugen geraten, und sie legte Halt suchend die Hände auf die raue Oberfläche des Felsens. Der König sagte etwas, doch
Weitere Kostenlose Bücher