Das Herz des Ritters
sie hörte ihn nicht. Sie spürte, wie sich seine Hand um ihr Handgelenk schloss, zuckte zusammen und riss sich, Panik in den Augen, von ihm los. Verwunderung und leichte Belustigung spiegelten sich in seiner Miene, als sie aufsprang und vor ihm zurückwich, doch sie achtete nicht darauf.
»Fasst mich nicht an«, hörte sie sich sagen. Ihre Stimme klang in ihren Ohren so hohl, als befände sie sich in einem verlassenen Bergwerk. »Kommt mir nicht mehr zu nahe.«
Sie wartete nicht, bis der König ihr die Erlaubnis gab, sich zu entfernen. Mit hämmerndem Herzen und keuchendem Atem lief sie davon und suchte Zuflucht in Sebastians Zelt. Zu ihrer Erleichterung war er inzwischen von der Besprechung zurückgekehrt und wartete bereits auf sie. Nie war Zahirah ein Anblick willkommener gewesen. Aufatmend warf sie sich in seine ausgebreiteten Arme.
»Wo warst du?«, fragte er und schloss sie in seine starken Arme. »Du zitterst wie ein Blatt im Wind. Was ist?«
»N…nichts«, stammelte sie und gab sich Mühe, unbeschwert zu klingen, wenn auch vergebens. »Ich habe dich vermisst, das ist alles. Ich bin froh, dass du zurück bist.«
Sein Schweigen verriet ihr, dass sie ihn nicht ganz hatte überzeugen können, doch er drückte sie an sich und wich nicht mehr von ihrer Seite, weder tagsüber noch abends auf der Rückreise nach Askalon – einer Reise, die sie zu Zahirahs großem Unbehagen in Gesellschaft von mehreren Dutzend wachsamen Rittern und ihrem König verbrachten.
22
Zahirah hatte einen schlechten Traum.
Nein, es ist schlimmer als das, es ist ein weiterer grausamer Albtraum,
dachte Sebastian, während er ihren zitternden Körper in seinem Bett im Palast von Askalon in den Armen hielt. Der acht Stunden währende Ritt hatte sie erschöpft, und sie war immer wieder auf ihrer Stute eingedöst, bis Sebastian sie schließlich vor sich auf sein Pferd gesetzt hatte. In seinen Armen war sie in einen unruhigen Schlaf gefallen.
Seit ihrem Aufenthalt in Darum war sie ganz offensichtlich über irgendetwas bekümmert, allerdings schien sie fest entschlossen, ihn nicht ins Vertrauen zu ziehen. Dennoch ahnte er den Grund ihres Kummers, denn die begehrlichen Seitenblicke, die der König ihr auf der Heimreise zugeworfen hatte, waren ihm nicht entgangen. Richard hatte eindeutig ein Auge auf sie geworfen. Allein der Gedanke daran brachte Sebastians Blut in Wallung. Lange genug hatte er Seite an Seite mit seinem König auf dem Schlachtfeld gekämpft. Er wusste, wie rücksichtslos und beharrlich Löwenherz vorging, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Doch wenngleich er auch nicht völlig darauf vertraute, dass sein König sich in Zurückhaltung üben würde, so wusste er doch, dass er sich auf Zahirahs Treue verlassen konnte. Ebenso wie sie sich darauf verließ, dass er sein Versprechen hielt und sie beschützte.
Er spürte das Gewicht dieses Schwurs nun auf sich lasten. Wie ein hilfloser Säugling lag sie in seinen Armen und kämpfte gegen einen Feind an, den er nicht sehen konnte. Sie murmelte etwas auf Arabisch; unverständliche, leise Worte. Dann stöhnte sie, atmete schnell und keuchend, als müsste sie gleich ersticken. Sebastian versuchte, sie zu beruhigen, doch sie war zu tief in ihren Traum verstrickt, gefangen von den Dämonen, die sie im Schlaf heimsuchten.
»Neeein«, schluchzte sie mit gebrochener Stimme. »Nein, nicht sie … nicht meine Gillianne …«
Teufel, da war er wieder, der englische Name, den Zahirah schon einmal im Schlaf gerufen hatte. Der Name, der ihr angeblich nichts bedeutete.
Gillianne.
Obwohl er sich fragte, was sie wohl noch preisgeben würde, wenn er sie den Albtraum bis zum Ende träumen ließ, konnte Sebastian sie nicht länger leiden sehen. »Zahirah«, sagte er und strich eine Locke aus ihrer feuchten Stirn. »Zahirah, es ist alles gut. Es ist nur ein Traum.« Er rüttelte sie sanft an der Schulter. »Wach auf, mein Herz. Du bist in Sicherheit.«
»Neeeein«, rief sie, immer noch in den Schrecken ihres Traumes verfangen. Heftig trat sie nach ihm unter der Decke, bäumte sich auf und zerkratzte den Arm, mit dem er sie an der Hüfte umfangen hielt. Ihre Stimme wurde zu einem schrillen, erstickten Schrei. »Oh Gott, nein. Lasst mich gehen! Lasst mich gehen!«
Sie schüttelte seine Hand ab und sprang, jäh erwachend, mit einem Satz aus dem Bett. Mit gehetztem Blick, die zitternde Hand auf den Mund gelegt, warf sie Sebastian einen angsterfüllten Blick zu, dann trat sie hinaus auf
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