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Das Herz des Ritters

Das Herz des Ritters

Titel: Das Herz des Ritters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lara Adrian schreibt als Tina St. John
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gepriesener Meister derart unverfroren beleidigt wurde. Sinan hielt im Gehen inne, dann drehte er sich zu ihr um. Mordlust funkelte in seinen Augen. Zahirah erwiderte seinen Blick gleichermaßen hasserfüllt.
    »Eure Herrschaft ist von Blut, Gewalt und Angst bestimmt«, beschuldigte sie ihn. »Ihr denkt, weil man Euch fürchtet, – weil Ihr mit einem Fingerschnipsen den Tod eines anderen Mannes befehlen könnt, – respektiert man Euch. Nun, das tut man nicht. Furcht und Respekt sind nicht dasselbe.« Sie schüttelte den Kopf und spürte, wie die in ihr auflodernde Wut ihr einen Hauch der Angst nahm. »Der bedingungslose Gehorsam, den Ihr verlangt, gründet weder auf Ergebenheit noch auf Ehrgefühl. Ihr seid kein Anführer. Ihr seid ein Ungeheuer.«
    Die Wucht des Schlages, den Sinan ihr versetzte, brachte sie aus dem Gleichgewicht und sie fiel im Sand auf die Knie. Verblüfft fasste sie sich an das schmerzende Kinn. »Du glaubst zu wissen, was ich bin, Mädchen? Dann verrate ich dir jetzt, was du bist.« Er beugte sich zu ihr und packte sie am Kinn. Seine braunen knochigen Finger gruben sich in ihre Wangen, als er ihr Gesicht ruckartig zu sich drehte. »Du bist gar nichts – du bist meine Schöpfung. Ich habe dich aus Staub und Tränen und den klagenden Schreien deiner Landsleute erschaffen, während ich sie unter meinem Absatz zermalmte.« Die gehässigen Worte ließen Zahirah zurückfahren, und ihr Herz krampfte sich zusammen, als sie langsam in ihren Verstand vordrangen. »Du bettelst, wie deine Mutter mich vor all den Jahren angebettelt hat. So, wie dein Vater mich angefleht hat, seine Frau und sein Kind zu verschonen. Du bist schwach und wertlos. Ich hätte dich mit den anderen töten sollen.«
    »Nein«, stöhnte Zahirah auf und schloss ihre Augen so fest, als könne sie so den Albtraum bannen, der sich durch die Brutalität von Sinans Geständnis in ihrem Gedächtnis zu wiederholen begann.
    Nun sah sie alles vor sich. Die Karawane der englischen Pilger, die auf dem Weg nach Jerusalem die Wüste durchquerte; eine Reise, deren Zweck sie im Alter von zwei Jahren noch nicht verstanden hatte. Aber sie hatte die Furcht verstanden, die ihre Familie erfasste, als sarazenische Reiter von einem Hügel herunterpreschten und die Gruppe christlicher Reisender überfiel. Sie verstand die Gefahr, die Panik, die ihre Mutter aufschreien ließ, als man ihren Vater zusammenschlug und von der Karawane fortzerrte. Sie hatten geweint, alle, die Erwachsenen hatten um Gnade gefleht, die Kinder geschrien.
    Einer der Angreifer hatte Zahirah aus den Armen ihrer Mutter gerissen und sie vor sich auf den Sattel seines schlanken schwarzen Pferdes gesetzt. Zahirah hatte die Arme ausgestreckt, doch sie waren nicht lang genug gewesen, um die Hände ihre Mutter zu erreichen. Ihre Finger streiften einander, dann wurden sie getrennt, denn das Pferd setzte sich in Bewegung. Sie hatte nach ihrer Mutter geschrien, den Kopf nach ihr umgedreht, unter Tränen zugesehen, wie die Gruppe schwarzgekleideter Plünderer über die Karawane herfiel und sie mit ihren Schwertern, Keulen und brennenden Fackeln niedermachte. Zahirah hatte die Schreie hinter sich gehört, vernommen, wie ihr Vater in Todesangst aufschrie, ihre Mutter über all den Lärm hinweg ihren Namen rief. »Gillianne!«, hatte sie gerufen. »Nein! Nicht meine Gillianne!«
    »Oh Gott«, schluchzte Zahirah auf. Jeder Muskel in ihrem Körper erschlaffte. Ihre Beine und Arme schienen plötzlich knochenlos. Sinan ließ sie los und stieß sie mit einem keckernden Lachen von sich.
    Weinend stützte sie die Hände auf den Boden und es war ihr gleich, was Sinan ihr noch antun würde, denn innerlich war sie bereits tot. Sinan hatte sich geirrt; er hatte sie schon vor all diesen Jahren getötet, als er den Mord an ihren Eltern und den anderen Pilgern begangen hatte.
    Sebastian hatte ihr eine Chance auf ein neues Leben geboten, hatte ihr die Möglichkeit gegeben, mehr zu sein als der Klumpen Ton, den Sinan für seine eigenen frevlerischen Absichten geformt hatte, doch sie hatte diese Chance ausgeschlagen. Und sie wagte es nicht, auf eine weitere zu hoffen. Ihr blieb nichts mehr, und das war ganz allein ihre Schuld.
    Wie ein Geier, der Aas begutachtet, stand Sinan drohend über ihr. Sie wartete darauf, dass er ihr den Todesstoß versetzte, hoffte, er werde es tun, um damit ihren Qualen ein Ende zu setzen. Das allerdings wäre ein Akt der Gnade gewesen, und so viel Mitgefühl besaß er nicht.

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