Das Herz des Ritters
Lederangeln hing. Er hob sie an und sah eine steile, in den Boden gehauene dunkle Treppe.
Die zahllos scheinenden Stufen endeten in einer großen, sandigen Felsenhöhle, in der das Rauschen eines Flusses zu vernehmen war. In das Dunkel streckten sich mehrere dünne Lichtfinger hinein. Sonnenlicht, nahm Sebastian an und trat durch einen schmalen Strahl, der durch einen Spalt in der Seitenwand der Höhle fiel.
»Schau an«, schnurrte eine geschmeidig glatte Stimme mit leichtem Akzent. Offenbar gehörte sie einem Mann, der die Sprache der Kreuzfahrer ausgezeichnet beherrschte. »Hauptmann Montborne, so treffen wir uns also wieder.«
Sebastian musste das hohlwangige, bärtige Gesicht nicht erst sehen, um zu wissen, dass er mit keinem Geringerem als dem schwer zu fassenden Alten vom Berge sprach – Raschid ad-Din Sinan. Es war derselbe alte Mann, dem er mit Zahirah in der Stadt begegnet war. Damals hatte er es bereits vermutet, aber erst durch Zahirahs versuchten Anschlag auf den König hatte er die Zusammenhänge vollends herstellen können.
»Wo ist sie?«, verlangte er zu wissen und wandte sich in die Richtung, aus der Sinans Stimme kam.
Der König der Assassinen trat aus den Schatten. Er wurde von drei bewaffneten Männern begleitet. Einer hielt Zahirah fest. Ihr Rücken war steif, die Handgelenke so fest vor dem Körper gefesselt, dass das Seil tief in ihre Haut schnitt. Ein dunkler Bluterguss verunstaltete ihre Wange, und ihre Lippen waren aufgesprungen und geschwollen, als wäre sie heftig verprügelt worden.
»Hurensohn«, knurrte Sebastian schäumend vor Wut und bereit, den alten Mann in Stücke zu reißen.
»Sebastian, nein!«, schrie Zahirah. »Er wird dich töten!«
Er machte einen Schritt auf Sinan zu, worauf sogleich die beiden Leibwächter vortraten und, die Hände um die Griffe ihrer Krummsäbel gelegt, eine Wand zwischen ihm und ihrem König bildeten. Der Mann, der Zahirah festhielt, drehte sich leicht, und Sebastian konnte den Dolch aufblitzen sehen, den er ihr an den Hals hielt.
»Sie hat recht«, warnte Sinan. »Zügelt Euer Temperament. Ich kann Euch versichern, dass ich Euch beiden mit Freuden den Garaus machen werde, solltet Ihr meine Geduld zu sehr strapazieren.«
»Was soll das? Warum hat mich Euer Handlanger hergebracht?«
»Ich habe einen Auftrag für Euch«, antwortete Sinan. Er warf Zahirah einen sengenden, verächtlichen Blick zu. »Eine unerledigte Sache, wenn Ihr so wollt, die Euren König betrifft.«
Sebastian lachte auf. »Ihr müsst verrückt sein.«
»Bin ich das? Nun, ich weiß nicht …« Sinan lächelte süffisant. »Ist meine Annahme, dass Euch diese Frau etwas bedeutet, wahrlich so verrückt? Immerhin ist sie Euch wichtig genug, dass Ihr hergekommen seid, obwohl Ihr ganz sicher wissen musstet, Ihr würdet mir dadurch direkt in die Arme laufen. Ich glaube, sie liegt Euch sogar so sehr am Herzen, dass Ihr alles für sie tun würdet.«
»Da irrt Ihr Euch«, log Sebastian, in dem Bemühen, Zeit zu gewinnen, um einen Ausweg aus diesem Spinnennetz zu ersinnen. »Ich bin mitnichten ihretwegen gekommen, Sinan, sondern Euretwegen. Wenn es eine unerledigte Sache gibt, dann zwischen Euch und mir. Und was diese Frau betrifft, sie ist …« Er schaute zu Zahirah hin, dann wieder zu dem Alten und zuckte die Schultern. »… sie ist mir gleichgültig.«
»Ach, tatsächlich?« Sinans Grinsen wurde breiter, weiß blitzten seine Zähne in seinem Bart auf. Er musterte Sebastian prüfend, wog seine Reaktion ab und gab schließlich einen Befehl: »Ritzt sie.«
Der Leibwächter beugte den muskulösen Arm und hob den Dolch, sodass Sebastian ihn klar erkennen konnte. Er hielt ihn an Zahirahs Wange und drückte die Spitze der Klinge in ihre glatte Haut. Ein Streich, und ihr Gesicht wäre für immer verunstaltet.
Zahirah wendete den Blick ab, doch sie versuchte nicht, sich dem Dolch zu entziehen. Sie schrie auch nicht auf. Beim Allmächtigen, sie stand einfach reglos da und ließ sich lieber verstümmeln, als Sebastian um Hilfe zu bitten. Der Leibwächter sah seinen Meister fragend an. Ausdruckslos gab Sinan einen bestätigenden Wink mit der Hand.
»Wartet!«, rief Sebastian. »Herr im Himmel, Ihr kranker Bastard. Wartet.«
Auf Sinans Nicken senkte der Mann den Dolch wieder. Sebastian stieß einen Fluch aus. Zahirah sah ihn furchterfüllt an, biss sich auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. »Sebastian, lass dich nicht von ihm benutzen. Er will Richard tot sehen, aber er wird
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