Das Herz des Ritters
neben baufällige Hütten, deren flache, sandige Dächer von fedrigem Gras überwuchert waren. Wie Ratten lungerten in allen Ecken Dirnen und lallende Betrunkene herum, die jeden zufällig vorbeikommenden Passanten mit schmutzigen Worten bedachten. Zahirah kannte sich in diesem Teil der Stadt nicht gut aus, doch sie ahnte, dass die Assassinen hier Freunde hatten.
Bei ihrer Flucht aus dem Palast und vor Sebastians gerechtfertigtem Zorn hatte sie nur ein Ziel gekannt: ihren Vater zu finden. Sie musste ihn einfach finden und ihn anflehen, Sebastian nicht für ihr Versagen zur Rechenschaft zu ziehen. Sie wusste nicht, womit sie ihn überzeugen konnte, doch sie war fest entschlossen, jeden Preis zu zahlen, damit er Sebastian verschonte; selbst ihr eigenes Leben wollte sie opfern, falls Sinan in seinem Zorn danach verlangte.
Ganz am Ende einer winzigen Gasse, die kaum breiter war als ein Spalt, stand unauffällig hingeduckt eine Taverne – die einzige Lichtquelle, die in diesen düsteren Eingeweiden der Stadt zu finden war.
Zahirah lief auf das Licht zu und stieg über ein Paar ausgestreckte Beine hinweg. Der Vagabund zu ihren Füßen wachte auf und murmelte etwas Unverständliches, dann sank er im Schmutz der Gosse wieder zurück in den Schlaf.
Vor der Taverne standen zwei Männer und unterhielten sich flüsternd, doch sie unterbrachen ihr Gespräch sofort, als Zahirah näher kam. Sie musste einen recht derangierten Anblick bieten: Ihr Haar hatte sich aus dem Zopf gelöst, ihr Gesicht war unverschleiert und von Tränen überströmt, die weiten Beine ihres Schalwar beschmutzt von den staubigen Straßen. Doch sie wusste, wie schmutzig und verzweifelt sie auch aussehen mochte, dass es immer noch offensichtlich war, dass sie nicht in diesen Teil der Stadt gehörte. Die beiden Männer wechselten einen Blick miteinander, der ihre Vermutung zu bestätigen schien, dann lächelte einer der beiden Zahirah an, und sie bedauerte unwillkürlich, dass sie ihren Dolch im Palast zurückgelassen hatte.
»Na, meine Hübsche«, sagte der Jüngere der beiden. Sein lüsternes Grinsen bereitete ihr eine Gänsehaut.
Aus der Nähe rochen die beiden Männer nach Opium und Gewalt, doch sie standen genau zwischen Zahirah und der Hilfe, die ihr vielleicht auf der anderen Seite der Tavernentür zuteilwerden konnte. Sie vernahm lärmendes Stimmengewirr und Gelächter und war fest entschlossen, auf die eine oder andere Weise an den beiden vorbeizukommen.
»Ich suche jemanden«, sagte sie, machte einen zielstrebigen Schritt nach vorn und griff nach der Klinke. Wie erwartet, wurde sie aufgehalten. Der lächelnde Mann versperrte ihr mit seinem massigen Körper den Weg; sein Freund trat neben sie, sodass sie in der Falle saß. Zahirah wich zurück, nur einen Schritt, doch das reichte bereits, um den beiden zu verraten, dass sie Angst hatte.
»Wohin des Weges, meine Hübsche? Wir haben alles, was du brauchst. Komm unterhalte dich mit uns. Wir machen dich glücklich.«
»Ich soll in dieser Taverne jemanden treffen«, sagte sie ausweichend. »Meinen Vater. Vermutlich wartet er schon auf mich.«
»Hier?«, fragte der erste Mann ungläubig. »Zu dieser Stunde?«
Der Mann neben ihr lachte. »Wenn du glaubst, dass er hier ist, dann ruf ihn doch. Vielleicht lassen wir ihn ja auch mitspielen.«
Zahirah wog ihre Möglichkeiten ab, während die beiden Rüpel lachten und Scherze darüber machten, was sie mit ihrer gesamten Familie anstellen wollten. Der lächelnde Mann brach in Gelächter aus; sein schrilles, von Drogen berauschtes Lachen hallte laut in der verlassenen Gasse wider. Zuversichtlich und mit teuflischem Grinsen im Gesicht packte er sie am Arm. Zahirah ergriff die Chance und griff an, so, wie man es ihr in den vielen Übungen in Masyaf beigebracht hatte.
Sie packte seinen Arm und zog ihn ruckartig nach vorn, sodass er das Gleichgewicht verlor. Dann rammte sie ihm das Knie zielstrebig zwischen die Beine. Er jaulte auf, doch nur einen Moment, dann hatte Zahirah seinen Kopf auch schon unter ihrem Ellbogen eingeklemmt und drückte ihm mit dem anderen Arm den Hals zu. Er sackte in sich zusammen und sank leblos zu ihren Füßen nieder. Als sie sich seinem Freund zuwenden wollte, hatte er sich in Luft aufgelöst; nur noch seine schnellen Schritte waren vom anderen Ende der Gasse zu vernehmen.
Plötzlich gewahrte Zahirah hinter sich eine Bewegung; eine Hand griff aus dem Dunkel nach ihr. Sie wirbelte herum, bereit, sich dem bevorstehenden Ärger zu
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