Das Herz des Ritters
Dann räusperte sich der Erste und sprach sie mit gezwungener Freundlichkeit an. »Ich bin Maimoun, Herrin. Falls Ihr etwas benötigt, wird es mir eine Ehre sein, es für Euch zu besorgen.«
Diese nüchterne Bemerkung und die verlegenen, beinahe grollenden Gesichter der beiden Dienstboten verrieten ihr alles, was sie wissen musste. Es war kein Traum gewesen; die gestrigen Vorfälle waren tatsächlich geschehen. Abdul war für immer gegangen, und die beiden Männer mit den verschlossenen Mienen würden ihr gewiss niemals mit solcher Herzlichkeit begegnen wie er. Kummer stieg in ihr auf; rasch schloss sie die Tür vor dem anschuldigenden Schweigen der Männer und wartete niedergeschlagen darauf, dass sie weitergingen.
Nachdem ihre Schritte verhallt waren, tauschte Zahirah die Chemise gegen Tunika und Schalwar. Sie konnte die Enge der Kammer nicht mehr ertragen, zu schwer drückte sie ihr Gewissen. Sie verließ das Zimmer und machte sich auf den Weg zu der Dachterrasse im Harem. Sie brauchte Platz und frische Luft, um über die Geschehnisse nachzudenken … und darüber, was ihre Mission nun von ihr verlangte.
Tief in Gedanken versunken, schritt Zahirah durch das Labyrinth der Korridore zu den leer stehenden Gemächern der Sultanin. Sie war sich gar nicht bewusst gewesen, wie schnell sie gegangen war, bis sie, beinahe außer Atem, auf den Balkon trat, der Askalon überblickte. Sie hatte ihren Schleier vergessen, doch im Moment vermisste sie ihn auch nicht. Die Hände auf das steinerne Balkongeländer gestützt, hielt sie das Gesicht in die Sonne, schloss die Augen und atmete die reinigende Meeresbrise ein, die vom Hafen herüberwehte. In einem tiefen, zittrigen Seufzen stieß sie den Atem in der Stille des Morgens aus.
Jäh wurde ihr bewusst, dass sie nicht allein war. Sie spürte es, noch bevor sie Sebastians tiefe Stimme von der flachen Dachterrasse zu ihrer Rechten vernahm.
»Wie ich sehe, habt Ihr eines meiner Geheimnisse gelüftet.«
Sie wirbelte zu ihm herum, unschlüssig, was sie mehr erschreckte: die Tatsache, dass er dort stand oder die beiläufig geäußerte Bemerkung, dass er etwas vor ihr verheimlichte. »Euer Geheimnis, Mylord?«
Er saß nahe am Rand des Vordachs, lässig zurückgelehnt auf die Ellbogen gestützt, die Knie gebeugt und die muskulösen Schenkel leicht gespreizt. Seine Tunika stand am Hals offen und gab ungehörigerweise den Blick auf schwarze Brusthaare frei. Selbst in ruhender Position strahlte er schiere männliche Kraft aus.
Und er konnte ihr gefährlich werden. Dieser Gedanke war ihr niemals zutreffender erschienen wie in diesem Moment, als er die graugrünen Augen auf sie richtete und sie prüfend musterte. Sein Blick erinnerte sie an schamlose geflüsterte Koseworte und verbotene Zärtlichkeiten im Dunkeln, bei denen ihr die Knie weich wurden, wenn sie nur daran dachte. Je länger er sie anschaute, desto heißer und heftiger durchströmte sie eine ungeahnte Hitze. Sie musste all ihre Kraft aufbieten, um seinem Blick standzuhalten.
»Dieser Ort bietet den besten Blick über die Stadt«, sagte er. Seine tiefe Stimme und das unerwartete Lächeln trugen keineswegs dazu bei, das wundersame Flattern ihres Herzens zu beschwichtigen. »Ich komme hierher, wenn ich meine Gedanken ordnen will. Oder wenn ich ungestört sein möchte.«
Ihr war jeder Vorwand recht, seiner beunruhigenden Nähe zu entkommen, also schickte sie sich an, den Balkon zu verlassen. »Vergebt mir mein Eindringen, Mylord. Ich werde Euch allein lassen.«
Bevor sie jedoch in das Dämmerlicht der Gemächer entweichen konnte, sprang Sebastian so schnell und geschmeidig wie eine Katze auf die Füße. »Bleibt, Zahirah. Wir müssen miteinander reden.« Er streckte die Hand nach ihr aus. »Kommt zu mir.«
Sie sah zu ihm hin. Breitbeinig stand er da, gefährlich nahe am Rand der hohen Terrasse, und wartete. Was führte er im Schilde? Zahirah zögerte, unschlüssig, ob es klug war, zu ihm hinüberzugehen. Dennoch gelang es ihr rätselhafterweise nicht, ihm die Bitte abzuschlagen. Er wiederholte die Aufforderung nicht; ganz so, als wüsste er, dass dies nicht nötig sein würde. Ihr war, als zöge sie seine erwartungsvoll ausgestreckte Hand wie an einem unsichtbaren Band zu sich, obwohl alles in ihr danach drängte, sich umzudrehen und in den Palast zu flüchten.
Sie kletterte von dem Balkon auf die Aussichtsterrasse. Dort angekommen, wehte eine leichte Brise über sie hinweg, strich über die Hosenbeine ihres Schalwar und
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