Das Herz des Ritters
soll Euch besinnungslos gemacht haben? Denkt Ihr das tatsächlich?« Als sie nicht antwortete, schüttelte er den Kopf. »Ihr hattet einen Albtraum. Ich habe Eure Schreie vernommen und Eure Kammer betreten, um mich Eures Wohlbefindens zu versichern. Ihr habt geweint und wart völlig außer Euch, also habe ich Euch einige Schlucke Wein zur Beruhigung gegeben. Nur einige Schlucke, nicht mehr. Was danach geschehen ist, daran trägt der Wein keine Schuld. Es war nicht beabsichtigt und hätte ich gewusst …« Er brach ab.
»Was?«, fragte sie, obwohl sie sich keineswegs sicher war, ob sie tatsächlich erfahren wollte, was er ihr zu verschweigen versuchte. »Wenn Ihr was gewusst hättet, Mylord?«
»Hätte ich gewusst, dass Ihr bisher noch nicht … dass Ihr noch unberührt seid, hätte ich die Dinge niemals so weit gedeihen lassen.«
Sie gab einen verächtlichen Laut von sich, denn seltsamerweise fühlte sie sich durch sein Bedauern gekränkt. »Ist das etwa die feine englische Art, sich zu entschuldigen, Mylord?«
»Wenn Ihr eine Entschuldigung wollt, dann, ja.«
»Ich will nichts weiter, als dieses Gespräch beenden. Wenn Ihr mich nun bitte entschuldigen wollt.«
Er versuchte nicht, sie aufzuhalten, als sie an ihm vorbeistürmte. Doch seine Stimme zwang sie, auf der untersten Sprosse der Leiter zum Balkon noch einmal innezuhalten. »Ich warne Euch, Mylady. Falls Ihr etwas vor mir verbergt, werde ich es herausfinden. Geheimnisse können gefährlich sein. Sie können Leben zerstören. Denkt darüber nach und lasst mich wissen, wenn Ihr mir noch mehr zu berichten habt.«
Um eine Antwort verlegen, blickte Zahirah ihn verblüfft an. Sie hatte mehr enthüllt, als ihr lieb war. Und sie machte sich nicht vor, dass sie ihn lange hinters Licht führen konnte. Er war ihr an Klugheit und Gewitztheit ebenbürtig. Verwirrender und hundert Mal beunruhigender war allerdings die Tatsache, dass es ihr das Herz brach, ihn betrügen zu müssen.
Trotz allem, was man sie über die Kreuzfahrer gelehrt hatte, trotz ihrer Vorurteile, mochte sie ihn. Respektierte ihn.
Dennoch musste sie sich eingestehen, dass ihre Wertschätzung für Sebastian auf mehr gründete als auf schlichter freundschaftlicher Zuneigung oder bloßem Respekt. Auf viel mehr. Doch das war ohne Belang. Letzten Endes würde er die ganze Wahrheit über sie erfahren, so, wie er es gesagt hatte. Und wenn dieser Moment gekommen war, würde sie Allahs ganzen Beistand brauchen. Der Gedanke, wie bald schon dieser schwarze Tag kommen würde, ließ ihr das Herz schwer werden, und Furcht erfüllte sie.
»Habt Ihr nun alles gesagt, was Ihr sagen wolltet, Mylord?«
Er nickte leicht, dann jedoch überlegte er es sich anders. »Nein, noch nicht ganz. Eine Sache noch, bevor Ihr geht, Zahirah.«
Sie stellte sich seinem kühlen, gelassenen Blick und fürchtete bereits einen weiteren Ansturm von Fragen über die Ereignisse, die zu Abduls Mord geführt hatten. Sie erwartete, dass er sich nach ihrer Loyalität erkundigte oder einen Beweis dafür verlangte, dass sie die Wahrheit sagte. Alles hatte sie erwartet, nur nicht die Frage, die er dann stellte.
»Wer ist Gillianne?«
Er äußerte die Worte so beiläufig, dass sie zunächst glaubte, sich verhört zu haben. Doch als sie ihn ansah, wusste sie, dass ihre Ohren sie nicht getrogen hatten. Zahirah biss sich auf die Innenseiten ihrer Wangen, damit sie nicht vor Verzweiflung laut losschrie. Sie wickelte die Hände in den Saum ihrer Tunika, um sich davon abzuhalten, ihn zu schlagen. Ein Sturm der Gefühle tobte in ihr, stieg wie bittere Galle in ihr auf und schnürte ihr die Kehle zu, aber sie bemühte sich, ihre Stimme gleichgültig klingen zu lassen. »Sollte ich diese Person kennen, Mylord?«
»Ich denke, das solltet Ihr. Immerhin habt Ihr ihren Namen gestern Nacht im Schlaf genannt.«
Damit war jeder noch so geringe Zweifel ausgeräumt. Sebastian war in der Tat in ihrer Kammer gewesen; schlimmer noch – als er während ihres Albtraums über sie gewacht hatte, war er Zeuge der Angst geworden, die sie immer zitternd und völlig verstört zurückließ. Bei Allah, aber dieser Mann – dieser Engländer – kannte den verwünschten Namen, der sie in ihren Träumen heimsuchte wie ein übel wollender Geist.
Den Namen, der sie schon beinahe ein ganzes Leben lang verfolgte.
Gillianne.
Zahirah versuchte, den Namen aus ihrem Kopf zu verbannen. Sie wollte ihren Dämonen nicht begegnen. Nicht jetzt. Nicht vor ihm.
»Ich weiß nicht,
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