Das Herz des Ritters
er darüber nachgegrübelt hatte, wie er sein Wohl und seine Pflichten gegenüber dem König am besten wahrte, und er war zu dem Entschluss gekommen, dass er Zahirah nach seiner Rückkehr aus Darum aus dem Palast fortbringen lassen musste, wenn sie ihm vor seinem Aufbruch nicht die Wahrheit anvertraut hatte – die ganze Wahrheit, was auch immer sie vor ihm verbarg.
»Ich will noch vor Einbruch der Dämmerung aufbrechen«, sagte er nach einer Weile. »Sag den Männern, sie sollen sich ausruhen und zu Abend essen. Nach dem Mahl machen wir uns auf den Weg.«
Logan nickte. »Aye, aye, zu Befehl.«
Den ganzen Vormittag drängte es sie bereits danach, doch erst am späten Nachmittag brachte Zahirah genügend Mut auf, zu Sebastian zu gehen. Die beiden Tage, die seit ihrer Auseinandersetzung auf der Dachterrasse vergangen waren, gehörten zu den längsten ihres Lebens. Tage, die sie allein in ihrer Kammer verbracht hatte, zu beschämt – zu verwirrt –, um sich aus dem Zimmer zu wagen, solange die Möglichkeit bestand, ihm dabei in die Arme zu laufen.
Wenngleich auch die Stimme der Vernunft ihr riet, Abstand zu dem englischen Hauptmann zu wahren, und ihr die Gefahr deutlich machte, in die sein Verdacht sie brachte, so bedauerte doch ein törichter Teil ihres Wesens, dass er nicht bei ihr war. Dieser Teil fragte sich, ob er sie vielleicht ebenfalls ein klein wenig vermisste. Dieser Teil war es auch, der seine Abwesenheit nicht länger ertragen konnte und sie dazu veranlasste, ihre Schritte zielstrebig zu ihm zu lenken.
Sie fand Sebastian ohne Mühe in dem Hofgarten, in dem er so gern seine Mahlzeiten einnahm. Dienstboten und Soldaten kamen und gingen in einem fort. Zögernd trat sie in den Torbogen und blieb stehen, den Blick respektvoll gesenkt, als einer der Kreuzritter an ihr vorübereilte, der seinem Hauptmann kurz zuvor eine Schriftrolle gebracht hatte. Das große Pergament lag nun aufgerollt auf dem Tisch, an dem Sebastian saß und sein königliches Mahl aus Lammbraten, Käse und Kräuterfladenbrot verspeiste.
Er war in ein Kettenhemd und einen roten Seidensurcot gekleidet, der ihren Blick auf seine breiten Schultern lenkte.
Er ist für den Kampf gerüstet,
wurde ihr bewusst, und sie furchte die Stirn. Als der Ritter den Hof verließ, sah er auf; ihre Blicke verfingen sich. Sie lächelte schüchtern unter ihrem Schleier, aber er erwiderte ihr Lächeln nicht. So plötzlich, wie er zuvor zu ihr aufgesehen hatte, wandte er sich ab. Schon hatte er die Aufmerksamkeit wieder auf sein halb verspeistes Mahl gerichtet, spießte einen Fleischbrocken mit dem Messer auf und spülte ihn mit einem großen Schluck Wein hinunter.
Obwohl er sie nicht dazu aufgefordert hatte, ging Zahirah zu ihm. Er bemerkte ihr Näherkommen gewiss, doch weder grüßte er sie noch schickte er sie fort.
Nein, er ignorierte sie völlig.
Etwa sechs Schritte von ihm entfernt standen zwei in weiße Gewänder und Turbane gekleidete Diener. Sie beobachteten Zahirahs Eindringen mit unbehaglicher Miene und warteten offensichtlich auf ein Zeichen, ob sie sie bedienen oder, wie ihr englischer Lord, vorschützen sollten, sie nicht zu bemerken.
Um das Unbehagen zu vertreiben, dass sein andauerndes und, wie sie vermutete, absichtliches Schweigen ihr bereitete, hob Zahirah den Kopf und blickte in den Spätnachmittagshimmel. Eine wohltuende Brise streifte durch die Kronen der Zedern, und die großen Palmen bogen sich leicht im Wind. Ihre fächerförmigen Blätter klatschten in einem langsamen, fast hypnotisierenden Rhythmus aneinander. Es lag ein Zaudern in der Luft, eine milde, wenngleich zunehmende Kühle, die nicht völlig auf den regungslosen Mann vor ihr zurückzuführen war.
»Offenbar zieht ein Sturm heran«, meinte sie und beobachtete, wie sich über ihr dünne Wolken bauschten wie die Ballen frisch aufgeblühter Baumwollknospen. »Vielleicht wird es sogar regnen.«
Sebastian stellte seinen Becher krachend auf den Tisch. »Warum seid Ihr hier, Zahirah?«
Bei seinen barschen Worten zuckte sie zusammen, fragte sich zunächst, ob er gar den Grund für ihre Anwesenheit im Palast hören wollte. Vor Schreck fehlten ihr zunächst die Worte. Als sie jedoch die Verärgerung in seinen Augen bemerkte, wurde ihr bewusst, dass er aus Ungeduld so harsch mit ihr war, nicht etwa, weil seine geschärften Kriegersinne ihn Verdacht hatten schöpfen lassen.
Dennoch zitterte ihr Lächeln unter seinem kalten gewitterschwarzen Blick. »Nun, ich … ich dachte,
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