Das Herz des Ritters
und beobachtete verzweifelt und schweren Herzens, wie die Karawane sich auf den Weg machte. Die Rufe der Kamele, das Rattern der schwer beladenen Karren und das Klirren der Rüstungen verklang, als der Tross hinter den Stadttoren die alte Handelsroute nach Darum einschlug. Sie sah Sebastian nach, bis er außer Sicht war.
Längst hatte sich der Staub gelegt, und so weit das Auge reichte, war nur noch das schier endlose Band der verlassen daliegenden Straße zu sehen. Doch Zahirah stand immer noch da, schaute in die Richtung, in die er geritten war, und machte sich Sorgen.
Sie versuchte sich einzureden, dass es richtig gewesen war, Sebastian ziehen zu lassen, um den Erfolg ihrer Mission zu sichern. Dass ihr gar keine andere Wahl geblieben war. Sie versuchte sich weiszumachen, dass ihm und seinen Soldaten keine Gefahr drohte, dass es Halim nur darum ging, die Versorgungslieferung aufzuhalten, und er nicht vorhatte, die Männer abzuschlachten, die sie eskortierten. Sie versuchte sich davon zu überzeugen, dass Sebastian den Hinterhalt überleben würde, selbst wenn es zu einem Gemetzel kam. Sie hatte gesehen, wie gewandt er mit dem Schwert umging, und kannte niemanden in Sinans Heer, der es mit ihm aufnehmen konnte.
Dennoch nagte die Furcht an ihrem Herzen, kalt und unerbittlich.
Erst, als sie in der Ferne Donnerschläge vernahm, wurde ihr bewusst, dass es regnete. Ihre Tunika und die Pluderhose waren bereits durchnässt; der Schleier klebte ihr schlaff und feucht am Kinn. Die Luft schien unvermittelt zu brennen, dunkle Wolken türmten sich über ihrem Kopf, grau und schwer vom Regen. Die Fliesen auf der Dachterrasse waren durch das Wasser schlüpfrig geworden. Es rann zwischen ihren Füßen hindurch und ergoss sich in kleinen Strömen über der Dachkante, um gleich darauf hart auf den Boden des verlassenen Hofes zu platschen.
Es war ein Zeichen, ganz gewiss war dieses heftig tobende Gewitter in dieser sonst so wasserarmen Jahreszeit ein Zeichen.
Vielleicht war es Allahs warnende Stimme, ein Omen, das von bevorstehendem Unheil kündete. Dennoch blieb die Frage bestehen, ob das Übel der Karawane oder ihrer Mission drohte. Über den immer heftiger werdenden Sturm grübelnd, betete sie um Rat und wartete. Doch Allah gab ihr, abgesehen von dem gleichmäßigen Trommeln des Regens und den gleißenden Blitzen über ihrem Kopf, kein weiteres Zeichen mehr.
Ein lauter Donner folgte und erschütterte das Gebäude. Zahirah wandte sich um und suchte Schutz auf dem Balkon. Aus ihren Haaren tropfte Wasser, und sie wischte sich fröstelnd die Nässe aus dem Gesicht, während sie in den Palast lief, um in ihrer Kammer Schutz vor dem Gewitter zu suchen.
Als sie sich ihr näherte, wurden ihre Füße jedoch nicht langsamer. Sie trugen sie geradewegs an ihrem Gemach, und auch an Sebastians, vorbei und den Korridor hinunter zu dem Bogengang, der zu den Außengebäuden des Palastes führte. In vollem Lauf erreichte sie die Stallungen.
»Ich brauche ein Pferd!«, rief sie dem Stallmeister zu. Die Worte, ausgesprochen in der Lingua franca, hallten in dem gewölbten, höhlenartigen Gebäude wider. »Bitte, ich brauche sofort ein Pferd!«
Sie lief den Gang entlang und ließ, auf der Suche nach einem schnellen Pferd, den Blick über die stämmigen englischen Rösser gleiten. Der graubärtige Wachmann vertrat ihr den Weg. »Moment mal, Mädchen«, sagte er abfällig und spuckte vor ihr aus. »Diese Tiere gehören dem König …«
Zahirah schob ihn mit einem ungeduldigen Ausruf zur Seite und ging zu einer Box, in der eine schlanke schwarze Araberstute stand. Rasch holte sie die Vollblutschönheit heraus. Sattel und Zaumzeug hingen an der hinteren Wand der Box, und sie begann sogleich, das Pferd zu satteln.
»Was soll das denn werden?«, rief der Stallmeister, packte sie am Arm und zog sie von dem Pferd fort. »Pferdediebstahl ist ein schweres Verbrechen …«
»Ich will die Stute ja gar nicht stehlen«, erwiderte Zahirah. »Bitte, Ihr versteht nicht! Sie sind in Gefahr – und ich muss sie warnen!«
Sie riss sich los, bückte sich und befestigte hastig den Sattelgurt, dann erhob sie sich und griff nach dem Zaumzeug.
»Wen warnen, Mädchen?«
»Sebastian«, antwortete sie, stieg in den Steigbügel und schwang sich auf den Rücken der Stute. »Die Karawane reitet in einen Hinterhalt. Ich muss ihn warnen!«
»Herr im Himmel!«, rief der alte Soldat. »Sehen wir zu, dass Ihr rasch den Palast verlassen könnt!«
Mit einem Pfiff
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