Das Herz des Ritters
Schlachtross des Mannes war schweißgebadet und schnaufte schwer, offenbar hatte es Mühe gehabt, mit Zahirahs schlanker Araberstute Schritt zu halten. Mit einer knappen Geste wies Sebastian den Soldaten an, sich zu den anderen Männern zu gesellen.
»Himmel Herrgott, Frau!« Er packte Zahirah an den Armen und schüttelte sie leicht vor Sorge. »Seid Ihr völlig verrückt geworden? Was denkt Ihr Euch dabei, uns nachzureiten?«
Sie klammerte sich an seinen nassen Surcot und vergrub das Gesicht an seiner Brust. Kalt und zitternd lag sie in seinen Armen. »Ich konnte Euch nicht gehen lassen, Sebastian. Das konnte ich einfach nicht. Es ist zu gefährlich!« Sie hob ihr Gesicht empor zu ihm und begegnete seinem verwirrten Blick. »Ihr müsst mit der Karawane unverzüglich umkehren.«
»Umkehren?« Er strich über ihre gekrauste Stirn, ungehalten, weil sie gekommen war, und doch erfreut, dass er sie in den Armen halten konnte. »Der Karawane wird schon nichts geschehen, Zahirah. Das ist nur ein harmloser Sturm.«
»Nein«, brachte sie erstickt hervor. »Sebastian, Ihr versteht nicht! Ihr müsst umkehren! Ihr reitet geradewegs in einen Hinterhalt.«
Reglos betrachtete er ihr von Furcht gezeichnetes, regennasses Gesicht. »Ein Hinterhalt«, wiederholte er und spürte, wie der Schreck seinen Magen zusammenzog. »Woher wisst Ihr davon?«
»Halim.« Ein kummervoller Blick schlich sich in ihre Züge, ein Blick, der von Reue und Schuld zeugte. »Er … er hat mir erzählt, dass er einen Überfall auf die Karawane plant. Er will verhindern, dass die Vorräte den König in Darum erreichen.«
»Zur Hölle!« Sebastian war sich bewusst, was ihr Geständnis bedeutete, und ihm gefror das Blut in den Adern. Kalt wie der sintflutartige Wolkenbruch blickte er sie an. »Er war es also. Ihr habt Halim an diesem Tag in der Moschee getroffen. Ihr habt mich belogen.«
Sie nickte matt. »Ja, es war Halim.«
»Wann soll es geschehen? Der Hinterhalt, Zahirah«, fügte er grimmig hinzu, als sie nicht gleich antwortete. »Ich muss wissen, wann und wo Halim zuschlagen will.«
»Ich … das weiß ich nicht! Er hat es mir nicht gesagt, das schwöre ich. Ich weiß nur, dass der Angriff auf der Straße nach Darum stattfinden soll.«
Fluchend und nicht allzu sanft schob er sie von sich fort.
»Es tut mir leid, Sebastian. Alles. Ich … ich hätte es nicht vor Euch verheimlichen sollen.«
»Sehr richtig, Madam«, stieß er schroff hervor und stieg, sich gegen ihren reuevollen Blick stählend, in den Sattel. »Steigt auf, Zahirah, der Sturm wird immer schlimmer. Wir sollten zusehen, dass wir ins Trockene kommen.«
17
Sebastian behielt recht. Der Sturm wurde tatsächlich immer schlimmer, doch das Lärmen und Krachen des Gewitters war harmlos im Vergleich zu dem eisigen Schweigen, das sie auf dem Weg bis zum nächsten Dorf ertragen musste. Sebastian blickte sie weder an, noch sprach er mit ihr auch nur ein einziges Wort, und die halbe Stunde, die es dauerte, bis die Karawane eine Zuflucht gefunden hatte, schien sich endlos hinzuziehen. Nachdem er Kost und Logis in der Karawanserei des Dorfes bezahlt hatte, überließ er Zahirah sich selbst, um sich mit seinen Männern zu beratschlagen.
Sie wusste nicht, wie lange sie in der kleinen Kammer des beengten zweistöckigen Gasthofes gesessen hatte. Der Wirt und seine Frau hatten ihr einen Gebetsteppich und einen Imbiss gebracht, doch sie schenkte beidem keinerlei Beachtung. Ihre Gedanken kreisten einzig um Sebastian und das entsetzliche Durcheinander, das sie in ihrer beider Leben angerichtet hatte.
Mehr als einmal kam es ihr in den Sinn, sich einfach aus der Karawanserei zu stehlen und sich in der Schwärze der Nacht auf und davon zu machen, ehe ihre Gefühle für Sebastian noch völlig die Oberhand über ihren Verstand gewannen. Sie konnte ihn reinen Gewissens verlassen. Sie hatte ihn vor dem Überfall gewarnt; für seine Sicherheit war gesorgt. Am nächsten Morgen würde er mit der Karawane nach Askalon zurückkehren, und Halims Hinterhalt wäre vereitelt.
Es wäre das Leichteste der Welt, den unbewachten Gasthof zu verlassen. Und gewiss wäre eine Flucht auch das Vernünftigste, denn der englische Hauptmann stand kurz davor, ihre wahre Identität zu enthüllen. Zu ihrer Bestürzung stellte Zahirah jedoch fest, dass ihre Beine der Stimme der Vernunft nicht gehorchen wollten.
Nein, wurde ihr unvermittelt bewusst, es war ihr Herz, das den Gehorsam verweigerte.
Einen Wimpernschlag später
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