Das Herz des Satyrs: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Geschenk an ihn, eine Art Wiedergutmachung für das, was sie ihm gestohlen hatte. Und für das, was sie stehlen würde.
Einige Minuten später gehörte der Minister ihr. Sein Atem war säuerlich vom Saufgelage, aber er war nicht so betrunken, wie sie angenommen hatte. Es war der Knebel, der ihn erstickt hatte. Nach einem kurzen, unangenehmen Anfall von Übelkeit spülte sie sich den Mund aus. Nun, da der Minister ihr Wirt war, waren die Ereignisse des heutigen Tages sowie sein ganzes Leben ein offenes Buch für sie. Er war mit einer prominenten Dame der gehobenen Gesellschaft verheiratet, die ihn verabscheute, weil er abscheulich war. Und korrupt. In ihrer Abwesenheit heute Nacht hatte er drei seiner Kumpane eingeladen, sich hier zu einem unerlaubten Stelldichein einzufinden. Sie alle waren omosessuali , die ihre Neigung verbergen mussten. Im alten Rom waren die Dinge anders gewesen, doch selbst da hatte es Vorurteile gegeben.
Sie stolperte zur Tür, riss sie auf und grölte den Bediensteten in ihrer männlichen Stimme zu: »Bringt mir etwas gegen diese Kopfschmerzen, verdammt!« Dann rieb sie sich über den Bauch und fügte hinzu: »Und ein Bad und ein verdammtes Abendessen!« Sie fühlte sich schuldig, dass sie die Dienstboten so unfreundlich behandelte, aber im Haushalt des Ministers war man nichts anderes von ihm gewohnt.
Auch wenn ihr allein der Gedanke an Nahrung schon den Magen umdrehte, so hatte sie doch nur noch diesen Nachmittag, um sich auf die Nacht vorzubereiten. Sie und ihr neuer Wirt hatten einen großen Abend geplant.
Zu Fuß überquerte Bastian die geschäftige Piazza del Campidoglio auf dem Kapitolinischen Hügel, vorbei an den feinen Kutschen, die hier in einer mehrere Häuserblocks langen Schlange standen. Gaslaternen schwankten in ihren Aufhängungen im stürmischen Herbstwind und erleuchteten die gewaltige Marmortreppe, als er hinaufstieg und dann den Palazzo Senatorio betrat. An jeder Tür hatte polizia Posten bezogen, um die Schätze in dem prunkvollen Gebäude zu bewachen. Hier wurden Staatsdokumente aufbewahrt, die bis in die Antike zurückreichten. Während des Mittelalters hatte sich dann das Zentrum der Gemeinderegierung hier befunden, und erst vor zwei Jahrzehnten war der Palazzo offiziell als Roms Rathaus bestimmt worden.
Heute Nacht hatten sich alle hier versammelt, um seine kürzlichen spektakulären Funde im Tempel und im Haus der Vesta auf dem Forum zu betrachten und zu feiern. Und er war der Ehrengast.
Bastian zog die Manschetten seines Jacketts tiefer über die weißen Handschuhe, nickte den Wachen zu und betrat den Palazzo, der strahlend erleuchtet war. Sofort spürte er die Erwartungen, die in der Luft lagen. Männer höchsten politischen und sozialen Ranges waren hier versammelt. Gelehrte Männer, die begierig darauf waren, sich von seinen Erzählungen über die Ausgrabungen auf dem Forum bezaubern zu lassen. Männer, die danach trachteten, ihr eigenes Vermögen und ihre Karriere auf seinen Entdeckungen aufzubauen. Sie alle brauchten ihn auf die eine oder andere Weise. Doch noch immer gab es einige wenige Narren, die ihn absetzen wollten.
Sein Vertrag als leitender Archäologe auf dem Forum sollte verlängert werden, und das Parlament würde heute zu später Stunde darüber abstimmen, wer die Leitung über die Ausgrabungen innehaben sollte. In den letzten elf Jahren war die Aufgabe bei jeder Abstimmung wieder ihm übertragen worden, und alle Beteiligten hatten ihn gefeiert und umworben, da er ganz offensichtlich die beste Wahl für diese Arbeit war. Nun jedoch war der ehrgeizige Minister Tuchi sein Gegner, der den Posten lieber seinem Vorarbeiter, dem fügsameren Ilari, übertragen wollte. Er hatte die Gedanken einer kleinen, aber einflussreichen Gruppe Politiker vergiftet, und nun war seine Wiederwahl gefährdet. Bastian hatte nicht vor, seine Gegner gewinnen zu lassen.
Über Monate hinweg hatte er die Anordnung der Artefakte in diesen Räumen als Vorbereitung auf diese Nacht überwacht. Heute sah es so aus, als hätten sich Herden riesiger Krähen dazwischen niedergelassen, da die Einladung gefordert hatte, dass die Herren Schwarz tragen sollten. Ein Glücksfall für ihn, denn es hatte ihm das Ankleiden erleichtert. Nur sein Mantel zeigte ein wenig Farbe. Bastian hatte ihn bei seinen Reisen im Orient erworben; er war mit einem schimmernden Garn bestickt, das unter bestimmten Lichtverhältnissen ein Muster schauriger mythischer Monster enthüllte. Man konnte nur
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