Das Herz des Satyrs: Roman (Knaur TB) (German Edition)
hatte. Mit sichtbarer Anstrengung schüttelte er sein Unbehagen ab und fuhr fort: »Und ich bin hergekommen, um Informationen zu verkaufen , nicht, um zu stehlen.«
»Was könntest du wohl wissen, das von Interesse für mich wäre?«
»Ich habe ein paar Informationen über die Jungfrauen, so sieht’s aus.«
Bastian schnaubte leicht ungläubig.
Daraufhin fing der Junge an, diverse Fakten an den Fingern abzuzählen: »Eins: Aeneas brachte das ewige Feuer aus Troja zum Tempel der Vesta. Zwei: Es brannte dort neunhundert Jahre lang. Drei: Zwölf Vestalinnen hielten die Flamme am Brennen. Vier: In der Antike haben Staatsbeamte – wie dieser liebeshungrige Minister, zum Beispiel, der gerade gegangen ist – Vesta Opfer dargebracht, bevor sie ihr Amt antraten. Fünf: Ich habe noch mehr. Irgendwelche Fragen?«
Zwölf Vestalinnen hatte der Junge gesagt. Nicht sechs, wie es in den Schriften der Philosophen stand. Alle anderen Informationen konnte er aus Büchern oder von Lehrern haben. Aber nicht einmal Bastian selbst hatte vermutet, dass es zwölf gegeben hatte, bis er die Vision letzte Nacht gehabt hatte.
»Wie kommt es, dass du antike Geschichte ausspuckst wie eine wandelnde Enzyklopädie?«, fragte Bastian, dessen Interesse nun vollständig geweckt war.
Rico breitete die Hände aus. »Weiß nicht. Passiert einfach. Lass mich für dich arbeiten, und ich erzähle dir mehr von dem, was ich weiß.« Nun, da er Bastian beeindruckt hatte, schlenderte er übermütig durch das Zelt und betrachtete oberflächlich die riesige Sammlung von Büchern und Artefakten. Sein Hund, der inzwischen wieder wach war, lief hinter ihm her.
Bastian und Lucien tauschten einen Blick. »Auf der Suche nach mehr Beute?«, fragte Bastian.
Der Junge zuckte unbekümmert mit den Schultern. Bei dem Anblick einer kleinen weißen Schachtel mit teuren Pralinen in einem der Regale leuchteten seine Augen auf. Michaela hatte eine Vorliebe dafür, und Bastian hatte die Nascherei für sie gekauft. Rico bückte sich und schnupperte. Sein Magen knurrte, und er legte etwas verlegen eine Hand auf seinen Bauch. Er warf Bastian einen schnellen Blick zu. »Für deine Frau?«
»Das geht dich nichts an.«
»Herzallerliebste also? Falls du ein Geschenk suchst – ich kenne mich ein wenig mit Taschendieberei aus und kann dir auf dem Markt ein paar hübsche Taschentücher besorgen. Ein Wort genügt …«
Bevor der Wichtel zu Ende reden konnte, sprang der Hund auf. In Sekundenschnelle schnappte er die Schachtel vom Regal und machte Anstalten, sie aufzubeißen, um an die Schokolade darin zu kommen.
»Sal!«, schalt Rico. Als er versuchte, die zerrissene Schachtel zurückzuholen, packte der Hund sie mit den Zähnen und rannte im Kreis durch das Zelt. Whap! Sein Schwanz schlug gegen eine Urne aus Terrakotta und stieß sie unglücklich gegen eine andere daneben. Sie zersprang und zerbrach in mehrere Stücke.
Mit einem unterdrückten Fluch machte Bastian einen großen Schritt auf den Hund zu. Der sprang knurrend um Bastians Füße herum, nicht willens, seinen süßen Schatz wieder herzugeben. »Neunzig Höllen! Schaff diesen Köter hier raus! Luc!«
Daraufhin pfiff sein Bruder erneut dem Hund. Augenblicklich ließ Sal die Pralinenschachtel fallen und vergaß sie sofort, während er wieder zu Luc trottete. Diesmal wurde er allerdings nicht in Schlaf versetzt, sondern ließ sich nur wachsam zu Lucs Füßen nieder.
Rico hob die zerrissene Pralinenschachtel auf und sah etwas unsicher drein, was er nun damit anfangen sollte. »Sein Name ist Salvatore.«
»Salvatore – Retter?«, grummelte Bastian und betrachtete die zersprungene Urne. »Scheint mir unter diesen Umständen kaum passend.«
Rico schlängelte sich zum Schreibtisch, legte die Schachtel darauf und blieb dann stehen. Mit einem Zeh, der aus der Sandale schaute, fuhr er ein Muster im Teppich nach. »Ich nenne ihn Sal. Er ist ein guter Rattenfänger.« Er sah sich um, als halte er nach irgendwelchen Nagetieren Ausschau. »Könnte nützlich sein, hier einen Hund in der Nähe zu haben. Interesse? Kostet nur eine Lira.«
Bastian beugte sich über die Urne und begutachtete behutsam den Schaden. »Eine Lira für diese Promenadenmischung voller Flöhe?«
Der Junge warf dem Hund, der mit den Pfoten scharrte, einen Blick zu und schalt sanft: » Fermi quello – Hör auf damit!« Dann wandte er sich wieder an Bastian und beharrte: »Er hätte keine Flöhe, wenn er ein gutes Zuhause hätte.
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