Das Herz des Satyrs: Roman (Knaur TB) (German Edition)
überwachen. Silvia ihrerseits verbrachte den Tag damit, Schutt von einem Haufen zu einem anderen zu bewegen. Es war eine Arbeit, bei der Körper und Geist abstumpften, und sie ließ den Vorarbeiter in einer endlosen Litanei an Klagen über den Schmutz und die Kälte wissen, was sie davon hielt. Die Tatsache, dass sie ihn verärgerte, war allerdings nicht zur Gänze ihre Schuld. In den ersten paar Tagen behielt der Wirt eine beträchtliche Kontrolle über den Körper. Das würde bald nachlassen, aber vorerst war es schwierig, Rico davon abzuhalten, sich Gehör zu verschaffen.
Von Zeit zu Zeit sah sie, wie Bastian in der Türklappe seines Zeltes stand und sie beobachtete. Oder wie er sie draußen bei den Grabungen beobachtete. Oder mit Karten in der Hand, während er mit Arbeitern diskutierte – und sie beobachtete. Oder wie er Befehle rief und andere eilten, sie zu befolgen. Offensichtlich war er ein Mann, der Gehorsam gewohnt war. Doch zugleich war er sich nicht zu schade, selbst die Ärmel hochzukrempeln und bei schwerer Arbeit mit anzupacken. Und als ein großes Stück eines Freskos gefunden wurde, war er mitten im Getümmel und strengte seine Muskeln an, als er dabei half, es freizulegen.
Am Ende des Tages fragte er sie: »Du kommst morgen wieder?«
Sie nickte müde. »So leicht wird Ilari mich nicht los.«
Er nickte. »Frühstück ist um fünf Uhr dreißig. Wenn du mitessen willst, sei hier.« Er sah sich um. »Wo wirst du schlafen?«
»Das ist meine Sache.« Erschöpft trottete sie in Richtung des deutlich erkennbaren Merkmals des Forums: zum Triumphbogen des Septimius Severus. Für dessen Frau, Julia Domna, hatte sie damals besondere Zuneigung empfunden, denn diese hatte dafür gesorgt, dass der Tempel der Vesta nach dem Feuer im Jahre 191 nach Christus wieder aufgebaut wurde.
Silvia rollte sich im Schutz des Bogens zusammen. Sie zitterte, und als Sal zu ihr kam, kuschelte sie sich an seinen warmen Körper. Während sie so eingerollt dalag, starrte sie auf die Lichter in dem großen weißen Zelt, wo Bastian noch immer arbeitete. Hin und wieder konnte sie seinen Schatten im Licht der Lampen erkennen. Wurde er denn nie müde?
Sie strich mit der Hand über Sals Fell. »Es ist gut, dass er so arbeitsam ist, findest du nicht auch, Sal? Vielleicht schafft er es ja, innerhalb des nächsten Monats einen Feuerstein oder zwei aus dem Boden zu holen.« Dann drehte sie sich auf den Rücken. »Man kann nur hoffen. Denn wenn der nächste Vollmond kommt, muss ich den Körper deines Herrn verlassen, damit ich in die Anderwelt zurückkehren kann.«
Sal jaulte und leckte ihr über das Gesicht, als würde er sie verstehen und sei traurig darüber. »Ich weiß, ich weiß. Du kannst sicher sein, dass ich keinerlei Verlangen danach habe, zu Pontifex zurückzukehren, aber ich muss. Und ich kann nicht mehr zu Rico zurückkehren, wenn ich ihn verlassen habe. Aber ich habe ihm versprochen, dass ich ein gutes Zuhause für dich finde, bevor ich gehe. Und das werde ich auch.« Sie gähnte, drehte sich wieder um und starrte zum Zelt hinüber. »Tatsächlich glaube ich sogar, das habe ich schon.«
Mit Sals weichem Bauch als Kissen, in dem es angenehm grummelte, schlief sie fast augenblicklich ein. Irgendwann in der Nacht fand eine Decke den Weg zu ihr und wurde von kräftigen Männerhänden um sie herum festgesteckt.
Dankbar kuschelte sie sich hinein und murmelte im Halbschlaf: » Buona notte, papà. «
Bastian stand da, sah auf den Jungen hinab und fragte sich, welches Geheimnis es wohl war, das ihn umgab. Dann drehte er sich um und ging nach Hause.
Scena Antica III
15. Mai 374 n. Chr.
Rom, Italien
Vestalis Maxima klatschte in die Hände. »Denkt daran, Mädchen: Etikette. Ganz Rom wartet darauf, heute an diesem glorreichen Festtag einen Blick auf euch und das, was ihr tut, zu erhaschen.« Vestalis diente den Mädchen als Ersatzmutter und kümmerte sich beständig um deren guten Manieren.
Silvia richtete ihre infula und ließ die Enden der Kopfbedeckung so fallen, dass sie ihre Schultern verhüllten. Ihr Haar wuchs langsam wieder nach, war bisher aber nur etwa zwei bis drei Zentimeter lang und schmiegte sich in festen Locken an ihren Kopf, anstatt ungebändigt und wild herabzufallen wie sonst. Michaelas seidige schwarzblaue Locken hatten sich bereits von selbst zu einer Kurzhaarfrisur geformt, die ihr ein hübsches elfenhaftes Aussehen verlieh. Occias unglückselig dickes Haar dagegen ragte in eigentümlichen
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