Das Herz des Satyrs: Roman (Knaur TB) (German Edition)
verletzt werden. Oder ermordet.
»Die Umstände haben sich geändert, und wie es scheint, kann ich dich doch nicht nach Hause geleiten«, erklärte sie ihm. »Aber in deinem Zustand bist du ein leichtes Ziel.«
Flammende Röte überzog seine Wangen. »Ich bin durchaus in der Lage, auf mich selbst achtzugeben.« Im selben Moment stolperte er über die Pflastersteine der Straße. Er fuhr sich mit der freien Hand über das kurze dunkle Haar, frustriert darüber, dass sie recht hatte. »Neunzig Höllen.«
»Du musst etwas in den Magen bekommen. Das wird helfen.« Sie nahm seine Hand und zog ihn zu einem der Verkäufer, die am Fuß der Spanischen Treppe Speisen verkauften. Sie sah zu, wie er dem Verkäufer eine Münze zuschnippte. Zwar konnte sie die köstlichen Düfte nicht riechen, aber ihr Gedächtnis füllte die Lücke nur zu gerne aus, und ihr lief das Wasser im Mund zusammen, als Brot geröstet, Käse geschmolzen und Fleischsoße verteilt wurde.
»Beeil dich, ja?«, drängte sie den Verkäufer, während sie entzückt auf seine Ware schaute. »Bevor ich fortgerufen werde.« Aber, natürlich, er konnte sie nicht hören. Doch aus irgendeinem Grund konnte Bastian sie sehr wohl hören. Ein Rätsel, mit dem sie sich in den kommenden Stunden beschäftigen wollte.
»Fortgerufen? Wohin?«, fragte Bastian. »Und von wem?«
»Wie bitte, Signor?«, fragte der Verkäufer.
»Bitte, Bastian, höre auf, mit mir zu reden. Er glaubt sonst, du wärst irrsinnig«, tadelte sie ihn.
»Wer sonst, außer einem Irrsinnigen, sieht denn Geister?«
Sie antwortete nicht, denn sie wollte ihn nicht auch noch ermutigen, weiter mit ihr zu reden, doch der Verkäufer beäugte ihn argwöhnisch und fragte sich wahrscheinlich, ob er den Verstand verloren habe. »Dicker Nebel heute Nacht, sì? «, bemerkte er, als er das Sandwich herüberreichte.
Bastian sah sich um, als bemerke er erst jetzt, dass Nebel aufgekommen war. »Ziemlich«, antwortete er lapidar und drückte dem Mann ein ansehnliches Trinkgeld in die Hand, das garantiert sämtliche Bedenken, die er haben mochte, auflöste.
Er nahm das Sandwich und begann, mechanisch zu essen, als würde er es eher als Gegenmittel für seinen berauschten Zustand betrachten denn als Genuss. Der Nebel schlich sich um ihn herum, und sie sah zu, wie er sich um seine Stiefel ringelte, zwischen seinen Oberschenkeln wirbelte … und die ziemlich große Beule dazwischen liebkoste. Hastig lenkte sie ihren Blick woanders hin und hoffte, dass er sie nicht deutlich genug sehen konnte, um sich über ihre leuchtend roten Wangen zu wundern.
Er brach ein Stück von seinem Brot ab und hielt es ihr hin. Ohne nachzudenken, griff sie danach. Dann schüttelte sie den Kopf. Es war verlockend, aber wohl kaum wert, dafür ihre Unsterblichkeit aufzugeben! »Ich kann nicht essen, solange ich …«
»Aufhören! Ich flehe dich an!«
Aufkeuchend wirbelte sie herum und schlug ihm mit dem Ellbogen das Stück Brot, Käse und Fleisch aus der Hand. Dann starrte sie auf die am Boden liegenden Stücke, ohne sie wirklich zu sehen. »Verdammnis«, stieß sie zwischen den Zähnen hervor, »ich hasse es, wenn es durch Mord geschieht.«
»Mord?«, echote er und klang dabei etwas nüchterner als noch vor einigen Augenblicken. »Wo, zum Teufel, steckst du mit drin?« Er streckte die Hände nach ihr aus. Während er gegessen hatte, hatte er ständig mit einer Hand Kontakt zu ihr gehalten, doch jetzt war sie freigekommen.
Sie wich zurück und starrte ihn an, um sich seine Gesichtszüge einzuprägen, während er hinter ihr herlief. Ihr törichtes Herz sehnte sich schmerzhaft danach, bei ihm zu bleiben. »Finde Michaela. Geh nach Hause«, befahl sie ihm verzweifelt.
»Verdammt, zur Hölle mit all …«, fing er an, aber seine Worte wurden übertönt von einem weiteren Schrei, den nur Silvia hören konnte.
»Neeeiin!« Der entsetzliche Schrei drang durch die Straßen, der Kehle einer unbekannten Frau entflohen, während das Opfer selbst nicht fliehen konnte. Silvia wandte den Kopf abrupt in die Richtung, aus der der Schrei kam. Aus einer Gasse, nur zehn Minuten entfernt.
Eine Hand fuhr über den Rücken ihres Gewandes. Bastian. »Bleib. Lass mich …«
Aber sie sah sich nicht mehr nach ihm um und wartete nicht ab, was er sagen wollte. Es war höchste Zeit, zu gehen. Sie lief los, stürmte durch eine der verrückten, zickzackförmigen Gassen in dem Irrgarten von Rom und ließ ihn hinter sich zurück. Sie hatte für ihn getan, was sie
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