Das Herz des Satyrs: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Kraft am Unterarm. »Versprich es mir, Via«, beharrte sie. »Ich will mehr Zeit mit ihm. Du kannst sie mir geben. Bitte …«
In Silvia tobte ein heftiger Widerstreit. Nein! Verlange das nicht von mir. Du wirst entdecken, dass mein Herz dich verraten hat, denn ich liebe ihn auch. Ja! Ich will ihn für mich selbst. Nein! Wenn ich mit ihm schlafe, wird mich das nur noch mehr an das binden, was ich nicht haben kann. Und obwohl sie ein lautes Nein hinausschreien wollte, nickte sie nur und flüsterte: »Ja, natürlich. Ich verspreche es.«
Augenscheinlich beruhigt, hob Michaela eine Hand und berührte Silvias Wange. Ihr Blick war voller Zuneigung. Silvia legte ihre eigene Hand auf die Michaelas und fühlte zu ihrer Überraschung die Magie darin. Michaela belegte sie mit einem Trennungszauber! »Was tust du …?«
»Du darfst nicht um mich trauern, Via, solange du mit ihm zusammen bist«, sagte Michaela sanft. Silvia starrte sie an, und Betroffenheit und Dankbarkeit wirbelten durch ihr Herz, während Michaela fortfuhr: »Heute Nacht wirst du alles sein, was er will. Du wirst ihm Freuden bereiten, so wie ich es tun …«
Plötzlich wurde Michaela totenbleich, und wilde Angst ließ Silvia alles andere vergessen. »Oh, bitte nicht, verlass mich nicht. Nicht so bald.«
Doch Michaelas Augen waren leer, und sie antwortete nicht mehr. Sie machte einen einzigen, flachen Atemzug, und dann sank ihre Hand herab auf ihren zerknitterten roten Rock, schlaff.
Der lähmende Schmerz drohte Silvia zu überwältigen, und sie wollte nichts weiter, als ihm nachzugeben. Doch sie hatte es Kayla versprochen.
Es war Zeit.
Mit mechanischen Bewegungen begann sie das vertraute Ritual des Übergangs. Sie beugte sich vor und ließ ihr rotgoldenes Haar wie einen Vorhang um Michaelas Gesicht fallen, um einen winzigen Ort der Ungestörtheit zu schaffen, wo sie tun konnten, was getan werden musste. »Ich liebe dich«, flüsterte sie. Und dann drückte sie ihre Lippen auf die von Michaela.
Mit einem scharfen Aufkeuchen fing sie den letzten Atemzug ihrer geliebten Freundin auf, inhalierte ihn und nahm ihn in ihrem eigenen Körper auf. Dann kam diese nebelartige, winzig kleine Pause, als das Leben in den Tod überging.
Ein zweiter Kuss. Und dieses Mal atmete Silvia sanft aus und fühlte das vertraute Würgen, als ihre eigene Lebenskraft aus ihr herausfloss, während sie mit ihrem langsamen Ausatmen das Leben in Michaelas Körper zurückbrachte. Michaela wiederbelebte. Zu Michaela wurde.
Und dann lag Silvia auf dem Rücken, und die nebelfeuchten Pflastersteine der Straße bildeten ein feuchtes und hartes Bett unter ihr. Sie blinzelte mit violetten Augen und starrte hinauf in den wolkenverhangenen Himmel, der rasch dunkler wurde. Einen Moment lang lag sie einfach da, orientierungslos und unsicher, wer sie war oder was geschehen war. Irgendwo in der Ferne hörte sie Schritte. Rufe.
Polizia . Sie erinnerte sich, dass sie nach der Polizei gerufen hatte. Aber warum?
Vorsichtig setzte sie sich auf und fühlte Schmerz. Sie legte die Hand an ihre Kehle. Götter, das brannte, als sei sie an einem Galgen gehangen. Das war tatsächlich schon ein Mal passiert, vor fünfzig Wirten. Oder war es schon vor hundert Wirten? Sie fühlte kalte Luft und sah nach unten. Ihre Augen weiteten sich, und sie versuchte, ihren tiefen Ausschnitt zu bedecken. Es war schon einige Zeit her, dass sie so gut ausgestattet gewesen war. Und ihr Kleid war eines von der Sorte, die dazu gedacht war, Männer anzulocken wie Honig die Bienen. Wer war sie?
Dann, blitzartig, fiel ihr alles wieder ein. Michaela war nun ihr Wirt! Was bedeutete, dass sie … tot war. O Götter, nein! Das bedeutete, dass ihnen nicht mehr als ein gemeinsamer Monat blieb. Vielleicht sogar weniger. Nein, sie durfte nicht daran denken, Michaela für immer an den Tod zu verlieren. Noch nicht. Merkwürdigerweise war ihr Kummer über den Tod ihrer liebsten Freundin im Augenblick nichts als ein dumpfer, weit entfernter Schmerz. Sie erinnerte sich an die Wärme von Michaelas Hand an ihrer Wange, noch vor wenigen Augenblicken. Der Zauber. Offenbar hatte Michaela genau die Emotionen verbannt, die es Silvia möglich gemacht hätten, die Freundin zu betrauern. Doch jetzt würde der Kummer später kommen, sobald sie Michaelas letzten Wunsch erfüllt hatte.
Du darfst nicht um mich trauern, Via, solange du mit ihm zusammen bist.
Trockenen Auges kam Silvia auf die Knie und kämpfte sich auf die Füße. Sie hatte Michaela
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