Das Herz des Satyrs: Roman (Knaur TB) (German Edition)
verschiedene Tafeln waren aufgestellt worden, um zu zeigen, wie alles ursprünglich gestaltet gewesen war. Sie ging dorthin, wo sich einst ihre Schlafnische befunden hatte, und wandte sich dann schnell ab; sie konnte mit den Emotionen, die in ihr aufstiegen, nicht gut umgehen.
Alles war verschwunden. Nein, nicht alles .
Sie trat in die Mitte des Hofes. Die Statue der Göttin beherrschte den Ort, wie sie es immer getan hatte, einen Ausdruck von Wohlwollen in ihren Augen. So viele Jahre waren seit ihrem letzten Zusammentreffen vergangen.
Vestas Arme waren leicht ausgestreckt. In ihrer linken Hand hielt sie das geheiligte Wappen der Keuschheit und in ihrer rechten das des Feuers. Silvia kniete vor ihr nieder und sprach leise den Segensspruch. Dann legte sie ihre zitternden Hände in die der Statue. Vestas Handflächen waren glatt und kalt. Aber innerhalb von Sekunden fühlte sie, wie die beruhigende Wärme zwischen ihnen aufstieg. Sie schob ihre Finger unter eines der Wappen, um die kleine Stelle zu finden, die sich, wie sie wusste, dort befand. Ja – da war sie. Sie spürte den Hohlraum. Und den Stein, der darin verborgen war. Ihren Feuerstein. Was für ein gutes Gefühl es doch war, nach Jahrhunderten wieder mit ihm vereint zu sein. Dann griff sie unter das andere Wappen, wo Michaelas Stein versteckt war, und sie fühlte Michaelas Glückseligkeit, als sie auch diesen an sich nahm.
Schnell holte sie Aemilias Stein aus ihrer Tasche. Sie würde die Kraft aller drei Steine brauchen, wenn sie ein Feuertor erschaffen wollte, ohne sich dabei ihrer sterblichen Gestalt zu entledigen. Sie starrte auf die Steine in ihren Händen und fühlte ihr warmes Feuer.
»Michaela?«
Silvia drückte die Steine an ihre Brust, sprang auf und wirbelte herum. Bastian trat einen Schritt näher, seine silbernen Augen blickten sie misstrauisch an. »Was versteckst du da?«
Sie starrte ihn an und versuchte, sich seine Züge einzuprägen. Wenn sie sich das nächste Mal trafen, würde sie in einem neuen Körper stecken – und ihm fremd sein.
Seine Augen wurden schmal, und er trat noch einen Schritt auf sie zu. »Ich hatte in den letzten Wochen sehr viel Zeit zum Nachdenken.«
Sie wich einen Schritt zurück. »Worüber?«
»Über jene Nacht im Salon, als du Sevin erzählt hast, dass ich aus einer verunreinigten Karaffe getrunken habe.«
»Und?«
Wieder kam er einen Schritt näher, und sie wich einen zurück. »Davon hatte ich dir nichts erzählt. Was bedeutet, dass entweder du bei der Verunreinigung meiner Karaffe deine Hand im Spiel hattest oder dass du die weibliche Geistererscheinung warst, der ich die ganze Sache zuvor am Abend erklärt hatte.«
»Ich habe deine Karaffe nicht manipuliert, aber ich glaube, ich weiß, wer es war.«
Schweigen. »Was, bei den Höllen, ist hier los, Michaela?«, fragte er leise. »Ich versuche gerade, keine bösen Schlüsse zu ziehen.« Er deutete auf ihre Hände. »Ich frage dich noch einmal. Was versteckst du da?«
Langsam enthüllte sie die Steine in ihren Händen und hielt sie vor sich, als wolle sie sie ihm geben. Doch stattdessen senkte sie den Kopf und blies sachte auf die Steine. Augenblicklich manifestierte sich eine Feuerwand zwischen ihr und Bastian. Sie starrte ihn an, wie er auf der anderen Seite des Feuers stand und vor der Hitze zurückwich. Sie öffnete den Mund, um ihm das zu sagen, was Michaela so unbedingt wollte, dass er es erfuhr. Was sie in ihrem eigenen Herzen fühlte. »Ich liebe dich.«
Etwas in seinem Gesicht veränderte sich. Er machte einen Satz auf sie zu. Auf das Feuer zu. Gleichzeitig trat sie von der anderen Seite her auf ihn zu, in das Feuer, das sie erschaffen hatte. Und vor seinen Augen verschwand sie ganz einfach, und die Feuerwand mit ihr.
Perplex starrte Bastian auf die Stelle, wo Silvia gerade noch gewesen war. Er war tief erschüttert durch das, was er da gerade gesehen hatte, und durch das, was sie gesagt hatte. Er ging zu der Statue und untersuchte die Wappen in Vestas Händen. Fand die Hohlräume darunter, wo die Steine verborgen gewesen sein mussten. Woher hatte Michaela gewusst, dass sie da sein würden? Für wen arbeitete sie?
Sengende Hitze überzog seine Wangen mit Röte, aber sonst gab es nur wenig, das seine Wut verriet.
Die Feuersteine waren verschwunden. Und sie mit ihnen. Michaela war eine Diebin .
Eine einfache Schlussfolgerung.
War sie die ganze Zeit über nur mit ihm zusammen gewesen, um ihn zu bestehlen? Heiße Wut über ihren Verrat
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