Das Herz des Satyrs: Roman (Knaur TB) (German Edition)
wandte sie wieder den Kopf und spähte zu ihm hinüber, ließ den Blick über ihn wandern. Sie hatte seine Kleidung für heute ausgesucht, denn offensichtlich war das etwas, was Michaela immer für ihn getan hatte. Es war schon merkwürdig, dass er es zuließ, aber wenn es darum ging, Stoffe miteinander zu kombinieren, wirkte er unsicher. Erst heute Morgen hatte er sich Socken genommen, die nicht zusammenpassten, und anscheinend auch nicht bemerkt, dass sie diese dann gegen ein anderes, passendes Paar ausgetauscht hatte.
Was derartige Kleinigkeiten anging, war sie in den letzten paar Wochen ziemlich häuslich geworden. Sie hatte Gefallen an solchen Tätigkeiten gefunden, wie zum Beispiel seine Hose zu falten, seine Hemdkragen glatt zu streichen oder seine Krawatte zu richten. Aktivitäten einer Frau, die wusste, was ihm gefiel, und die ihm gefallen wollte. Handreichungen einer Ehefrau. Sie hatte ein gefährliches Spiel gespielt, das mit ihrem gebrochenen Herzen enden würde.
Denn sie war keine Ehefrau. Doch eine Hure war sie auch nicht. Nein, er hielt sie für das, was Michaela war – eine Begleiterin. Es war ein Beruf, der irgendwo dazwischenlag.
Als sie ihr Ziel erreicht hatten und aus der Kutsche stiegen, legte sich Bastians Hand auf ihren Rücken. Sie lehnte sich leicht gegen seine Berührung. Seine Hand gab ihr ein Gefühl von Wertschätzung und Schutz. Wie Michaela gesagt hatte, er wusste, wie man eine Frau berührte. Im Bett und auch sonst. Sie liebte es, einfach neben ihm zu gehen. Er und seine Brüder waren wahre Riesen, und er war wie ein Ungetüm gebaut, aber er war ein bewundernswerter Mann: intelligent und interessant, mit einem Sinn für Humor. Und sie wusste, dass er auch in ihr eine interessante Gefährtin fand, denn sie war amüsant, faszinierend und herausfordernd. Und sie teilten die Leidenschaft für die Ausgrabungen. Aber er glaubte, sie sei Michaela. Wenn er wüsste, was für eine Heuchlerin sie war, dann wäre er ihr gegenüber nicht so freundlich.
Höflich wie immer geleitete er sie zu den Feierlichkeiten. Auf dem Forumsgelände hatte man Tische aufgestellt und Sonnensegel darübergespannt. Die Tische waren beladen mit kulinarischen Köstlichkeiten, kreiert von Roms berühmtestem cuoco unico , und bei den köstlichen Düften grummelte ihr Magen hörbar. Bastian hörte es und lächelte ihr zu. »Hungrig, cara? « Wie gern er sie wegen ihrer Leidenschaft für das Essen aufzog! Sie betrachtete sein Lächeln und fragte sich, ob es wohl das letzte Lächeln war, das sie je von ihm erhielt.
Seine Miene verhärtete sich, er kam näher und legte seine Hände an ihre Taille. »Was ist los?«
»Bastian! Sevin! … Michaela.« Die weibliche Stimme, die sie da freudig begrüßte, wurde bei dem letzten Namen, der gegenwärtig Silvia gehörte, eine winzige Spur kühler. Es war Eva, Danes Frau. Die paar Male, die sie aufeinandergetroffen waren, war Eva immer freundlich gewesen. Sie war von Beruf Heiratsvermittlerin, und es war offensichtlich, dass eine Begleiterin in ihren Augen keine passende Lebenspartnerin für Bastian war. Sie hatten nie über jene letzte Vollmondnacht gesprochen, in der die Grenzen zwischen ihnen verwischt waren, und Silvia fragte sich, ob ihr überhaupt bewusst war, wer Bastians Gespielin gewesen war. Eva hatte ein freundliches Wesen, und sie hatte an Michaela als Person nichts auszusetzen. Daher unterstellte Silvia ihr keinerlei Böswilligkeit. Dennoch wäre Eva zweifellos erfreut, wenn Michaela aus dem Leben ihres Schwagers verschwinden würde.
Silvia wartete, hörte Bastians kurzer Ansprache zu und mischte sich mit ihm unter die Gäste. Doch damit zögerte sie das Unvermeidliche nur hinaus.
Ein Mann kam auf sie zu: Der junge Minister, an den sie sich noch von jenem ersten Morgen beim Zelt erinnerte. Sie entschuldigte sich unter dem Vorwand, einen der Desserttische aufzusuchen, und Bastian hatte keine Einwände. Aber sie spürte seinen nachdenklichen Blick. Ihr war aufgefallen, dass er sie hin und wieder beobachtete, als hätte sie etwas an sich, das ihn irritierte. Er hatte Unterschiede bemerkt zwischen ihr und der Frau, die er als Michaela gekannt hatte. Nach drei Wochen war Michaelas Essenz im Schwinden begriffen, und Silvias Persönlichkeit brach immer mehr durch. Er hatte Verdacht geschöpft. Nur noch ein Grund mehr, dass sie ihn verlassen musste, bevor er hinter ihr Geheimnis kam und ihre Pläne, ihn zu bestehlen, vereitelte.
Beiläufig warf sie einen Blick in seine
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