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Das Herz des Wolfes (German Edition)

Das Herz des Wolfes (German Edition)

Titel: Das Herz des Wolfes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Harrison
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rieb sich den Hinterkopf. »Die Geschichte hat es nicht gut mit den Chamäleon-Wyr gemeint.«
    Wie die meisten Alten Völker stammten auch die Wyr nicht ausschließlich von der Erde. Einige der ausgefalleneren Arten kamen ursprünglich aus den Anderländern, den Orten voller Magie, die sich gebildet hatten, als Zeit und Raum bei der Entstehung der Erde Falten geworfen hatten. Zu diesen Wyr gehörten auch die Regenbogenchamäleons. Sie waren seltene, scheue Kreaturen und stammten aus einem fernen Anderland, das mit dem Amazonas-Regenwald verbunden war.
    Regenbogenchamäleons gab es nur als Wyr-Wesen. Sie waren anders als die normalen Chamäleons, die meist nur zwischen wenigen Farben wechseln konnten. Regenbogenchamäleons konnten jede beliebige Farbe annehmen, und zwar willkürlich, um sich an ihre Umgebung anzupassen.
    Die erste dokumentierte Begegnung zwischen einem Europäer und einem Regenbogenchamäleon-Wyr hatte sich im Jahr 1542 ereignet. Damals reiste der spanische Eroberer Francisco de Orellana, einer der ersten Entdecker im Landesinneren des Amazonasbeckens, auf der Suche nach der legendären Stadt El Dorado den Amazonas entlang. Kaum hatte er die einzigartige Fähigkeit der Regenbogenchamäleons entdeckt, ihre Färbung radikal und komplex zu verändern, beging Orellana eine der größten Gräueltaten in der Geschichte Spaniens und der Alten Völker. Er machte systematisch Jagd auf die Chamäleon-Wyr und ließ sie sezieren, um den Ursprung dieser Fähigkeit zu ergründen. Die genaue Zahl der von ihm getöteten Wyr war nicht bekannt, Schätzungen von Historikern beliefen sich jedoch auf dreitausend bis fünftausend, was für eine so seltene Spezies katastrophale Ausmaße waren.
    Bei seinen Experimenten entdeckte Orellana, dass die Chamäleon-Wyr über eine Drüse verfügten, die der Hirnanhangsdrüse beim Menschen ähnelte. Daraus ließ sich eine Flüssigkeit extrahieren, die, wenn man Textilien damit behandelte, faszinierende Effekte hervorrufen konnte. Orellana sollte El Dorado nie finden, doch er brachte Phiolen mit dem Chamäleon-Extrakt nach Spanien, wo er sie für königliche Summen verkaufte, ihre Herkunft jedoch geheim hielt. Das spanische Königshaus und gewisse Adlige trugen bald darauf eine aufwändige Hoftracht zur Schau, deren fabelhafte Stoffe fließend ihre Farbe ändern und sich ihrer Umgebung anpassen konnten.
    Nach Orellanas Tod fand man in seinen Aufzeichnungen das Geheimnis des Chamäleon-Extrakts, woraufhin König Carlos I. und seine Mutter, die psychisch labile Königin Joanna, das Tragen von chamäleongefärbter Kleidung bei Todesstrafe verboten. Die spanische Monarchie inszenierte eine große Show und gab sich moralisch entrüstet, aber die politische Realität war: Ganz egal, wie ihre Reaktion wirklich ausgefallen wäre, mussten sie eine öffentliche Geste der Missbilligung zeigen, denn sonst hätten sie riskiert, von den aufgebrachten Herrschern der Alten Völker vernichtet zu werden.
    In den darauffolgenden Jahrhunderten jedoch hatte es immer wieder leise Gerüchte über die Existenz derartiger Kleidung gegeben, insbesondere in Verbindung mit berühmten, ungeklärten Diebstählen. Ob diese historischen Gerüchte nun zutrafen oder nicht, Chamäleon-Wyr waren und blieben selten. Alice wusste von nur etwa fünfzig Artgenossen, die derzeit auf dem Festland der Vereinigten Staaten lebten.
    Angesichts dieser verschwindend geringen Zahl von Chamäleon-Wyr waren die Verbrechen, die vor sieben Jahren verübt worden waren, umso schrecklicher. Damals waren in einer kleinen Kolonie von Chamäleon-Wyr in Jacksonville, Florida, in der Woche vor dem Festival der Maske sieben Chamäleons ermordet aufgefunden worden. Trotz einer groß angelegten Fahndung durch mehrere Behörden und einer umfangreichen Berichterstattung im Fernsehen konnte der Täter nie gefasst werden.
    Der Wind peitschte Eisstücke gegen das Haus, was für Alice klang, als würde ein Albtraum mit Knochenfingern an ihr Fenster klopfen und Einlass begehren.
    Alice erschauerte bei dieser düsteren Vorstellung und verdrängte sie aus ihren Gedanken. Sie war von Licht und Wärme umgeben, würde bald etwas Gutes zu essen und zu trinken bekommen und hatte in einer Zeit, die allein entsetzlich schwer zu ertragen gewesen wäre, das unerwartete Geschenk von Trost und Gesellschaft erhalten. Sie warf Gideon einen entschuldigenden Blick zu und widmete sich dann wieder dem offenen Kühlschrank, um wahllos Lebensmittel herauszuholen. Noch einmal

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