Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
zu verbinden. Sie wandte sich der abgerissenen Seitentasche zu und versuchte, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, aber ihre Gedanken kehrten immer wieder zu Angels unsicherer Zukunft zurück. Während sie die Nadel durch das Leder trieb, dachte sie noch einmal über die Ereignisse des vergangenen Nachmittags nach, als Daniel mit seinem Politikerfreund Joshua gesprochen hatte. Er wollte ihn nicht über Funk kontaktieren, weil das Gespräch dann von anderen belauscht werden konnte, deshalb war er mit Emma noch einmal auf den Hügel gestiegen, wo Emmas Handy Empfang hatte. Als sie an Angels Feuerstelle ankamen, wählte Daniel eine Nummer, die er in seinem Notizbuch notiert hatte.
»Joshua, mein Freund«, begrüßte er den Innenminister. Dann verfiel er in das heimische Maa. Er ging auf und ab, während er redete, blickte dabei aber die ganze Zeit auf den fernen Kegel des Vulkans, als ob er seine Worte an den Massai-Gott richtete, der dort wohnte. Dann beendete er das Gespräch und gab Emma das Handy zurück.
»Er versteht Angels und deine Beweggründe sehr gut«, sagte er. »Ich habe ihm auch von der Forschungsarbeit erzählt, die wir zusammen machen wollen. Joshua sagte, er wolle sich ein wenig umhören. Und er wird auch den Polizeichef informieren, dass Angel hier ist und er ein persönliches Interesse an dem Fall hat.«
»Wann werden wir wissen, was passiert?«
»Wir haben verabredet, dass wir morgen um die gleiche Zeit wieder telefonieren.«
»Dann müssen wir jetzt also warten. Und sonst können wir nichts tun?« Emma spürte, wie die alte Ungeduld in ihr aufstieg.
»Ich vertraue Joshua. Er wird weise Entscheidungen treffen und alles tun, um uns zu helfen.«
Daniel reichte Emma die Hand, und gemeinsam gingen sie den Hügel hinunter, um ins Camp zurückzukehren.
Emma wusste, dass er recht hatte – niemand war besser für die Situation geeignet als sein alter Freund aus Kindertagen. Aber es war so schwierig, geduldig zu sein. Emma legte die Tasche beiseite und steckte die Nadel in das Baumwollgarn, damit sie nicht verlorenging. Dann schob sie den Stuhl zurück, stand auf und trat nach draußen.
Angel und Daniel saßen jeder auf einem Hocker am Kochfeuer. Um sie herum trieb leichter, dunkler Rauch. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, und ihre Körper warfen scharfe Schatten. Jeder hatte einen der Kopfhörerstöpsel des iPod ins Ohr gesteckt, und sie hörten Musik. Emma konnte förmlich sehen, wie sie durch ihre Körper floss. Ganz natürlich reagierten sie auf den Rhythmus.
Aber dann kam wohl eine andere Musik, denn sie hielten beide inne, und Angel rümpfte die Nase. Kopfschüttelnd sagte sie etwas zu Daniel. Offensichtlich gefiel ihr dieses Lied nicht. Daniel runzelte die Stirn und tat so, als sei er beleidigt, beeilte sich aber, weiterzuklicken. Eine Mischung aus Freude und Schmerz überkam Emma. Es war eine normale Szene. Angel wirkte sicher und glücklich. Es war unvorstellbar, sie nach England zu schicken. Emma dachte sich mehr Szenen wie diese aus – mehr Szenen, die ebenso gewöhnlich und doch so besonders waren. Vielleicht konnte sie ja die Zukunft formen, indem sie diese Bilder heraufbeschwor. Langsam ebbte ihre Nervosität ab, während sie die Szenen lebendig werden und in den kommenden Monaten stattfinden ließ.
Emma hielt die beiden leeren Milchflaschen fest gegen die Brust gedrückt, als sie zurück zur Esshütte eilte. Angel folgte ihr dicht auf den Fersen. George war noch am Tor zum Gehege der Löwenbabys geblieben, um seine Pfeife zu rauchen und Bill und Ben beim Spielen zuzusehen. Nach dem Füttern hatten er und Angel einige Zeit darauf verwendet, die beiden Mdogo vorzustellen – der erste Schritt, um sie in Moyos Familie einzuführen. Emma hatte zugesehen, und Moyo hatte sich neben sie gestellt und ihr Junges wachsam beobachtet. Zuerst war das Experiment fast gescheitert – es hatte viel Fauchen und Knurren gegeben, und Angel hatte einen Kratzer an der Wange abbekommen. Aber schließlich hatten sich die drei kleinen Löwen beruhigt, und Mdogo hatte sogar Anstalten gemacht, mit ihnen zu spielen.
»Das ist ein guter Start«, hatte George gesagt. »Bald werden sie eine glückliche Familie sein.«
Emma ging an ihrem Schlafplatz vorbei – der Boden war frisch gekehrt, und die Betten waren während des Tages weggeräumt. Dann blieb sie kopfschüttelnd stehen. In der Ferne vernahm sie ein schwaches Klopfen.
Angel blickte Emma an. »Was ist das?«
»Ich glaube, es ist ein
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