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Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)

Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Scholes
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wischte sich Augen und Nase mit dem Ärmel ab und ergriff ihren Stock.
    »Hast du Hunger, Emma?«, fragte sie. Als ob ein Sturm durch sie hindurchgefegt und weitergezogen wäre, schien sie auf einmal ganz ruhig zu sein.
    »Nein – ja.« Emma lächelte. »Ich weiß nicht.«
    Angel legte den Kopf schief. »Es schmeckt dir bestimmt.«
    Sie griff nach dem Beutel an ihrer Hüfte und zog ihr Taschenmesser heraus. Konzentriert runzelte sie die Stirn, klappte die Klinge auf und wischte sie an ihrer Tunika sauber. Emma hatte das Gefühl, dass Angel sich instinktiv an Alltäglichkeiten hielt, um sich Fixpunkte auf einer Reise zu schaffen, die sie weit über die Ränder jeder Landkarte hinausführte. Auch Emma war sich unsicher und wusste nicht genau, wohin sie eigentlich gegangen waren. Auch sie sehnte sich nach Normalität. »Okay. Ja, ich hätte gerne ein bisschen was zu essen.«
    Angel holte die Kartoffel aus der Glut und schnitt die schwarze Kruste in der Mitte durch. Aus dem Kohlenmantel leuchtete das weiße Fleisch heraus.
    »Verbrenn dir nicht die Zunge«, mahnte Angel Emma und reichte ihr ein Stück.
    »Nein, ich passe auf. Danke.«
    »Asante«, korrigierte Angel sie. »Du solltest schon ein bisschen Swahili lernen – selbst wenn du nicht so lange in Tansania bleibst.«
    »Asante«, wiederholte Emma.
    »Und jetzt muss ich dir aus Höflichkeit erwidern. Si neno. «
    »Was bedeutet das?«
    »Das bedeutet auf Swahili ›ohne Worte‹. Damit will man ausdrücken, dass du mir nicht zu danken brauchst.« Sie lächelte. »Aber du musst es natürlich doch tun, wenn du höflich sein willst.« Sie wies auf das Kartoffelstück in Emmas Hand. »Probier mal.«
    Emma schob sich ein Stück weißes Kartoffelfleisch in den Mund. Es war fest und süß, mit einem leichten Rauchgeschmack. »Es ist köstlich. Perfekt gekocht.«
    Angel nickte stolz. Dann begann sie zu kauen. Ihre Lippen wurden schwarz von der Holzkohle.
    Hinter ihr verblasste der Mond am heller werdenden Himmel.

18
    N ebeneinander gingen Emma und Angel den Hügel hinunter. Ihr Rhythmus stimmte nicht überein, weil die Schritte der Frau viel länger waren als die des Kindes. Sie hatten die Wasserflaschen geleert und Reis und Bohnen für die Tiere zurückgelassen. Jetzt war der kaputte Sack nur noch ein kleines Bündel unter Emmas Arm.
    Der Himmel färbte sich rosig, als die ersten Strahlen der Sonne über den Horizont drangen.
    Während sie sich zwischen Steinen und Büschen einen Weg suchten, blickte Emma auf das Camp, das unter ihnen lag, mit seinen Hütten, Gehegen und dem Zaun außen herum. Von hier oben erschien es klein wie Spielzeug. Sie kam sich im Vergleich dazu vor wie ein Riese. Aber das lag nicht nur an der Perspektive, dachte sie. In den Stunden, die sie mit Angel am Feuer verbracht hatte, war ihr eine Last von den Schultern genommen worden. Sie hatte das Gefühl, jetzt aufrechter stehen und tiefer atmen zu können. Sie fühlte sich stärker und freier.
    Angel griff nach ihrer Hand. Gemächlich schlenderten sie den Hügel hinunter. Wann immer etwas die Aufmerksamkeit des Kindes erregte – eine winzige rosafarbene Blume, die unter einem Felsen wuchs; ein Käfer, der eine Mistkugel vor sich herrollte; eine hübsche graue Feder –, dann blieb sie stehen und betrachtete es. Gelegentlich trafen sich ihre Blicke, und dann lächelten sie einander an. Angel schien sorglos zu sein, als habe sie endgültig aufgegeben, Einfluss auf ihre Zukunft nehmen zu wollen. Und ihr Gesichtsausdruck war auch nicht mehr so verzweifelt. Es dauerte eine Weile, bis Emma klarwurde, was sie jetzt ausstrahlte. Und dann wusste sie es auf einmal. Es war Vertrauen. Angel hatte beschlossen, die Dinge, die zu schwer für sie waren, in die Hände anderer zu legen. Sie war wieder zum Kind geworden.
    Emma hielt inne, als sie das begriff. Jemand anderer musste nun die Rolle der Erwachsenen übernehmen. So wie die Löwenjungen die Löwen brauchten, brauchte auch Angel jemanden, der sie beschützte, liebte und leitete. Emma spürte die kleine Hand, die sich vertrauensvoll in ihre schmiegte. Und dann war auf einmal alles klar. Diese Person war sie. Ob nun Angel sie ausgesucht hatte oder Moyo oder eine uralte Kraft, die im Herzen Afrikas wirkte, das Ergebnis war immer das gleiche.
    Du kannst alles ändern.
    Sie ging den Hügel hinunter, und ihre Füße fanden automatisch den besten Weg, während ihre Gedanken sich überschlugen. Sie rief sich in Erinnerung, was sie zu Angel über Vormundschaft

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