Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
gesagt hatte. Emma war nicht in der Lage, eine Entscheidung über Angels Zukunft zu treffen. Und was war mit Daniel? Wenn sie Angel verlor und wenn die Forschung zu keinem Ergebnis führte – würde sie dann immer noch hierbleiben wollen, nur um mit ihm zusammen zu sein? Sie kannte ihn kaum. Er schien so perfekt zu sein, aber auch er musste doch zumindest einen der üblichen menschlichen Fehler haben. Sie wusste nicht, was herauskommen würde, wenn sie mehr Zeit miteinander verbrachten. Und wie würden sie auf Konflikte reagieren? Und sie wusste noch nicht einmal genau, was Daniel für sie empfand. Sie glaubte, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte und sie gerne um sich hatte, aber das bedeutete noch lange nicht, dass er sein Leben mit ihr verbringen wollte. Emmas Magen krampfte sich zusammen. Es gab keine Antworten auf diese Fragen, ihre Gedanken und Emotionen waren alle miteinander verbunden. Sie konnten nicht gegeneinander abgewogen oder in einzelne Teile aufgebrochen und nebeneinandergestellt werden.
Sie ging langsamer und blickte zum Horizont, wo die Sonne jetzt ein runder, goldfarbener Ball war. Die dornigen Äste der Akazien hoben sich scharf vom Himmel ab. Als Emma sich vorstellte, wie die Sonne unweigerlich im Tagesverlauf über den Himmel wandern würde, hatte sie auf einmal das Gefühl, dass sich auf diese Art auch der Rest ihrer Reise entfalten würde. Sie konnte nicht alles planen oder kontrollieren, was als Nächstes passieren würde. Ihre Zukunft lag in den Händen derselben Mächte, die sie hierhergebracht hatten – die Mächte, die beschlossen hatten, dass sie auf diesem Hügel stehen würde, mit dem Kind einer anderen Frau, statt in der Serengeti Lodge in der Dämmerung ein dreigängiges Frühstück einzunehmen, bevor die nächste Wildbeobachtungsfahrt begann.
Emma blieb stehen.
Auch Angel blieb stehen. »Was ist los?«
»Nichts«, erwiderte Emma. Sie hockte sich vor Angel. Ihre Augen brannten und waren heiß von dem vielen Weinen, aber die Augen des Kindes waren hell und klar. Emma strich Angel über die Wange. »Angel«, sagte sie langsam, »ich weiß, dass ich dir gesagt habe, ich könnte nicht in Afrika bleiben. Aber ich habe meine Meinung geändert.«
Angels Augen weiteten sich. »Ich habe beschlossen, die Regierung zu bitten, für dich sorgen zu dürfen. Ich weiß nicht, ob sie einverstanden sind. Aber ich werde auf jeden Fall fragen.«
Angel hielt den Atem an. Ein ungläubiger Ausdruck trat auf ihr Gesicht. »Heißt das, du magst mich?«
Erneut traten Emma Tränen in die Augen. »Ja, Angel, ich mag dich. Ich mag dich sehr.«
Angel lächelte breit. »Ich dich auch.«
Emma fand keine Worte mehr. Lächelnd presste sie ihre bebenden Lippen zusammen.
Dann gingen sie weiter, und die aufgehende Sonne wärmte ihre Gesichter.
Als sie sich dem Camp näherten, rief Angel: »Schau mal, da sind Daniel und Moyo.« Sie blickte Emma an. »Kannst du sie sehen?«
»Ja«, erwiderte Emma. Der Mann und die Löwin standen am Tor.
Angel rannte los, hielt kurz inne, um Daniel zu begrüßen und Moyo zu umarmen. Aber dann lief sie gleich weiter zu den Löwenjungen.
Daniel stand neben Moyo, eine Hand auf ihrer Schulter. Sein Gesicht war verzerrt vor Sorge. Er blickte Emma fragend an.
»Sie ist weggelaufen«, sagte Emma. »Ich bin ihr gefolgt.«
Daniel nickte langsam. Forschend betrachtete er sie. Dann hellte sich seine Miene auf, als könne er hinter ihre geröteten Augen sehen und erkennen, dass etwas Außergewöhnliches stattgefunden hatte. Emma verspürte im Moment nicht das Bedürfnis, ausführlich zu erklären, was geschehen war.
»Ich möchte hierbleiben«, sagte sie nur. »Angel braucht mich. Und ich möchte für sie sorgen. Ich möchte sie nicht verlieren.« Sie schwieg und holte tief Luft. »Und ich möchte auch dich nicht verlieren.«
Daniel sah sie an. Ein langer Augenblick verging, dann lächelte er. Seine Augen leuchteten. Er nahm sie in die Arme und zog sie dicht an sich. Sie drückte ihr Gesicht an die weiche Haut an seinem Nacken und spürte seine starken Schultern unter ihren Händen. Er roch nach Holz, Rauch und Honig. Sie schloss die Augen, als die Freude in ihr aufstieg und alle Zweifel zerstreute.
19
E mma saß am Esstisch, vor sich die grüne Schultertasche, und flickte den Schaden, den Girl angerichtet hatte. Das Leder war zwar weich, aber Ndisi hatte nur eine dicke, stumpfe Nadel gehabt. Trotzdem war es Emma gelungen, zwei Stücke des Schulterriemens wieder miteinander
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