Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
Ebenen, die weißen Hänge des Berges: Es kam ihr so vor wie der Schwarzweißfilm einer Szene, die eigentlich farbig sein sollte.
Sie blickte auf die Uhr. Sie waren schon seit über zwei Stunden unterwegs, und es war weit nach Mittag. Kurz überlegte sie, ob sie Daniel sagen sollte, er solle umkehren. Aber dann stellte sie sich eine Frau – eine Ausländerin, wie sie selbst – ganz allein in dieser Wüste vor, verletzt und hilfsbedürftig. Erneut blickte sie sich suchend in der Landschaft um.
Je länger sie fuhren, desto weniger redeten sie; die Luft wurde schwer, als ob das Gefühl der Vergeblichkeit auf ihnen lastete. Durch den großen, V-förmigen Riss in dem Segeltuch-Dach brannte die Nachmittagssonne direkt auf Emmas Kopf. Sie griff in ihre Tasche und holte ihre Sonnenschutzcreme heraus. Großzügig verteilte sie die Creme auf ihrem Gesicht.
Daniel warf ihr einen neugierigen Blick von der Seite zu.
»Ich will keinen Sonnenbrand kriegen«, sagte Emma.
Daniel lächelte. »Ihre Haut hat für Afrika die falsche Farbe. Wir hatten einmal einen Gast aus Holland hier. Er hat sich Gesicht und Arme so verbrannt, dass die Haut in Fetzen herunterhing. Er sah aus, als würde er sich wie eine Schlange häuten.«
Emma rümpfte die Nase. Sie konnte sich vorstellen, wie weiße Haut, die sich abschälte, auf Daniel wirkte – seine glatte, makellose Haut schimmerte in der Sonne wie polierte Bronze.
Da das Schweigen zwischen ihnen jetzt gebrochen worden war, verspürte Emma auf einmal den Impuls, weiterzureden.
»Wo haben Sie Tiermedizin studiert?«, fragte sie. Daniels Englisch war so gut, dass sie fast erwartete, den Namen einer englischen oder amerikanischen Universität zu hören.
»Hier in Tansania. Zuerst an der Sokoine University of Agriculture in Morogoro, und dann in Dar es Salaam.« Er fuhr um einen großen Stein herum. »Nach dem Examen habe ich eine Stelle in Arusha bekommen.«
»Und wie lange arbeiten Sie schon in der Olambo-Fieber- Forschungsstation?«
»Drei Jahre – fast vier.«
»Wie sind Sie zu dem Projekt gekommen?«
Daniel antwortete nicht sofort. Seine Miene wurde undurchdringlich, als habe er eine Maske aufgesetzt. »Ich kannte Menschen, die an dieser Krankheit gestorben sind.« Er warf Emma einen Blick zu. »Jetzt sind Sie an der Reihe. Wo kommen Sie her?«
Emma zögerte. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie ihm die simple Version erzählen sollte – also ihre Stiefmutter Rebecca oder die Tatsache, dass sie nur Halb-Australierin war, nicht zu erwähnen – oder ob sie mehr sagen und damit eine ganze Reihe von persönlichen Fragen riskieren sollte. Aber dann fiel ihr ein, dass Daniel ja schon von Susan wusste und sie offen antworten konnte. »Ich bin in Amerika geboren, aber Dad ist Australier. Nachdem Mum gestorben war, zogen wir sofort in seine Heimat zurück. Er konnte es nicht ertragen, an sie erinnert zu werden.«
»Dann haben Sie also nicht nur Ihre Mutter, sondern auch Ihr Zuhause verloren«, sagte Daniel.
»Ich habe alles verloren. Ich musste sogar mein Kätzchen weggeben – die Quarantäne-Gesetze in Australien sind streng. Nachdem sie mir Fifi weggenommen hatten, habe ich tagelang mit niemandem ein Wort geredet. Und dann musste ich mich auch von Mrs. McDonald verabschieden. Sie kümmerte sich um mich, wenn Susan nicht da war. Sie hat mir schrecklich gefehlt. Sie war wie eine Großmutter für mich.« Emma lächelte bei der Erinnerung. »Sie sagte mir, meine Mutter würde im Himmel weiterleben, und ich könnte mit ihr reden. Mein Vater war wütend, dass sie mir so etwas erzählte, aber mir war es egal, ob es stimmte oder nicht, denn es war ein großer Trost für mich.« Sie schwieg, erstaunt darüber, wie bereitwillig sie sich Daniel anvertraute. Vielleicht lag es daran, dass er so anders war – seine Art zu reden, die Worte, die er benutzte. Oder vielleicht lag es auch einfach nur daran, dass sie sich hier mitten in der Wildnis befanden. Jedenfalls spielte ihre übliche Angewohnheit, sich Fremden gegenüber reserviert zu verhalten, keine Rolle. »Seitdem lebe ich in Australien. Ich habe an der Melbourne University studiert.«
Daniel nickte. »Und sind Sie verheiratet?«
»Ja«, erwiderte Emma. Es war die einfachste Antwort, schließlich lebte sie jetzt schon seit fünf Jahren mit Simon zusammen.
»Wie viele Kinder haben Sie?«
»Keines.«
Daniel schwieg einen Moment lang. Dann sagte er mitfühlend. »Das tut mir leid.«
Emma blickte ihn verwirrt an, aber dann
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