Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
jedoch zu zögern.
»Was ist? Was ist das?«, fragte Emma.
»Hier war auch ein Löwe. Kein Wunder, dass die Kamele Angst bekommen haben.«
»Ein Löwe!«
»Das überrascht mich nicht. Dieser Ort hier gehört den Löwen, nicht den Menschen.«
Emma starrte ihn an. »Meinen Sie, der Löwe hat das Kind getötet?«
»Eigentlich ist das eher unwahrscheinlich.« Er verzog besorgt das Gesicht. »Aber dieser Löwe ist verletzt. Ein verletztes Tier kann sehr gefährlich sein.«
Er zeigte auf einen einzelnen Abdruck auf einem kleinen Sandfleck. In Emmas Augen sah er aus wie der Pfotenabdruck einer Hauskatze, nur dass er so groß war wie ihre Hand – und irgendetwas an der Form stimmte nicht ganz.
»Sehen Sie, einer der Ballen ist verletzt. Das ist eine schlimme Verletzung für ein Raubtier, weil sie nicht gut heilen kann. Wie die Kamelstute muss auch dieser Löwe behandelt werden.« Er blickte auf den Boden. »Es kommt mir so vor, als seien hier noch andere Spuren – von Löwenjungen –, aber sie sind sehr schwach.«
Emma schluckte. »Und … wo ist das Kind?« Sie blickte in die weite Landschaft. Die endlose Savanne wurde nur gelegentlich von Steinhaufen und gezackten Felsen unterbrochen. Sie stellte sich vor, dass hier irgendwo ein verlassener kleiner Körper lag. Oder vielleicht gab es auch nur getrocknetes Blut auf dem Boden, einen Stofffetzen …
Als sie Daniel anblickte, sah sie ihre Ängste in seinem Gesicht gespiegelt. »Was sollen wir tun?«
Daniel kniff die Augen zusammen, während er den Horizont absuchte. Dann legte er die Hände wie einen Trichter um den Mund. »Hallo! Ist dort jemand?« Seine Stimme schallte weit über das Land. Einen Moment lang herrschte gespannte Stille, aber es kam keine Antwort.
Er wandte sich an Emma. »Sie gehen in diese Richtung und suchen nach ihr. Ich gehe in die andere Richtung. Achten Sie darauf, dass Sie das Grab noch sehen können. Und passen Sie auf, wo Sie hintreten.«
Emma blickte zu Boden. Ihre neuen Segeltuchschuhe waren mit Staub bedeckt, und die bunten Logos, die auf die Seiten gestickt waren, waren nicht mehr zu sehen. Auch die Aufschläge ihrer Hose waren grau von Staub, und auf einem Hosenbein war ein Fleck, der wie Motoröl aussah. Einen Moment lang hatte sie das Gefühl, auf die Füße einer Fremden zu blicken.
Sie ging los und rief dabei, so laut sie konnte: »Hallo? Ist da jemand?«
Daniels Stimme, die die gleichen Worte rief, klang wie ein verzerrtes Echo.
Als sie in ein sandiges Gebiet kam, schaute sie sich aufmerksam nach Fußspuren um, aber sie sah nur die sternförmigen Abdrücke eines großen Vogels. Mit dem Blusenärmel wischte sie sich über die verschwitzte Stirn. Sehnsüchtig dachte sie an ihre Wasserflaschen im Landrover. Es war so heiß hier und so trocken. Wegen zwei oder drei Tagen ohne feste Nahrung starb niemand, das wusste sie. Aber drei Tage ohne Wasser konnte man bei dieser Hitze wohl kaum überleben. Allerdings waren Kinder zäher als Erwachsene. Sie starben langsamer …
Sie ging, rief, ging weiter, und suchte dabei ständig das Land mit Blicken ab. Sie merkte gar nicht, wie die Zeit verging, als plötzlich Daniel ihren Namen rief. Er winkte sie zum Grabhügel zurück.
»Haben Sie etwas gesehen?«, fragte sie voller Hoffnung, als sie bei ihm ankam.
»Nichts.«
»Vielleicht hat sie ja jemand gerettet.«
»Menschen sind nur selten in diesem Gebiet. Näher am Berg, wo es nicht so trocken ist, ist ein Dorf. Aber für Kühe gibt es hier nichts zu fressen.«
»In zwei Tagen könnte sie weit gewandert sein.«
»Ja«, stimmte Daniel zu. »Wir müssen eine richtige Suche organisieren. Wir müssen die Polizei informieren. Wenn wir die Steine wieder zurückgelegt haben, sollten wir fahren.«
Schweigend standen sie einen Moment da und blickten auf das Gesicht der Frau. Sie wirkte so friedlich – als ob sie wirklich nur schlafen würde.
»Was mag ihr wohl zugestoßen sein?«, sagte Emma schließlich.
»Vielleicht war sie krank, oder es hat einen Unfall gegeben«, erwiderte Daniel. »Wenn sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen wäre, hätte man sie versteckt. Stattdessen wurde ihr Körper mit Steinen geschützt.«
Emma runzelte die Stirn. »Wer mag das gemacht haben? Ihr Mann vielleicht? Ein Führer?«
»Nein. Ich habe nur die Spuren von einer Frau und einem Kind gesehen. Der kleine Fußabdruck passt in der Größe zu dem Kind auf dem Foto.«
»Sie sah aus, als wäre sie etwa sieben Jahre alt.« Ein Kind in diesem Alter
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