Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
in den Händen.
»Sie ist sehr alt«, sagte er. »Sehr kostbar. So eine Kette wird seit vielen Generationen von der Mutter an die Tochter weitergegeben.«
»Warum sollte eine Ausländerin so etwas bei sich haben?«, sagte Emma.
»Ich weiß nicht. Solche Dinge werden nie verkauft. Sie müssen in der Familie bleiben.«
Emma packte den Schmuck wieder ein und legte ihn vorsichtig zu den anderen Sachen.
»Sollen wir die Satteltaschen morgen mit zur Polizei nehmen?«, fragte sie.
Daniel zögerte. »Ich habe ganz vergessen, die Taschen bei der Polizei zu erwähnen. Es war keine Absicht, aber sie werden sicher glauben, ich wollte sie ihnen verschweigen. Außerdem sieht man ja, dass die Taschen hier ausgepackt wurden. Der Polizeibeamte könnte davon ausgehen, dass ich etwas gestohlen habe. Deshalb sage ich jetzt lieber noch nichts. Wenn der Inspektor wieder in Arusha ist und alles seinen normalen Gang geht – dann bringe ich die Taschen zur Polizeistation.«
»Das klingt vernünftig«, sagte Emma. Auch sie wollte mögliche Probleme vermeiden.
Es lagen nur noch wenige Sachen im Hof, als Emma ein Buch auffiel, das halb unter eine stachelige Pflanze gerutscht war. Sie zog es unter den scharfkantigen, staubigen Blättern hervor. Es war ein Schulheft. Auf eine Linie, unter der »Name« stand, hatte jemand in einer runden, kindlichen Schrift »Angel« geschrieben. Emma starrte den Namen an. So hieß das kleine Mädchen. Der Name passte zu ihr, mit ihren blonden Haaren und ihren blauen Augen. Sie zeigte Daniel das Heft und deutete auf den Namen.
»Der Name kommt in Afrika häufig vor«, sagte er. »Auf Swahili heißt es Malaika. «
Emma schlug das Heft auf. Auf der ersten Seite war ein mit Buntstiften gemaltes Bild. Es zeigte eine Frau und ein Mädchen, beide mit langen, blonden Haaren, die sich an der Hand hielten. Zu beiden Seiten neben ihnen standen Kamele, ein großes und ein kleines. Unter jeder Figur stand ein Name. Mama Kitu. Mummy. Ich. Matata.
Das Bild war sorgfältig und schön gemalt, mit einem kindlichen Blick für Details: Emma erkannte sofort den mutwilligen Gesichtsausdruck des kleinen Kamels, Matata. Mama Kitu beobachtete ihren Sohn mit liebevoller Missbilligung. Die Mutter des Mädchens war groß gewachsen und strahlte Kraft und Zuverlässigkeit aus. Das Mädchen war der Mittelpunkt des Bildes. Es lächelte stolz. Über der Zeichnung stand in Großbuchstaben: MEINE FAMILIE.
Emma blickte zu Mama Kitu und Matata. Die Namen passten gut zu den Tieren. Ihr Blick fiel auf Mama Kitus lahmen Fuß, und sie kaute angespannt auf ihrer Unterlippe, als ihr einfiel, was Daniel über den Löwenmann gesagt hatte. Als sie sich zu Daniel umdrehte, stellte sie fest, dass er die Kamelstute ebenfalls ansah.
»Ich habe sie heute früh untersucht«, sagte er. »Der Schnitt muss geöffnet und richtig gesäubert werden. Sie braucht ein paar antibiotische Injektionen, aber dann wird die Wunde schnell heilen. Wenn ich zwei Wochen Zeit hätte, könnte ich sie wieder gesund machen.«
Emma wusste, dass die Polizei wahrscheinlich sehr viel früher hier sein würde. Erneut betrachtete sie die Zeichnung. »Anscheinend gibt es keinen Mann in dieser Familie«, sagte sie. »Auch keine Geschwister. Wenn Angel gerettet wird, hat sie nur noch die Kamele, die sie trösten können.«
Daniel nickte. »Wenn sie noch lebt, müssten sie sie eigentlich heute oder morgen finden. Ich werde bestimmt Gelegenheit haben, mit ihr oder ihren Verwandten zu sprechen, damit sie sofort Anspruch auf die Kamele erheben.«
»Ich frage mich, wer sich wohl um sie kümmern wird.«
Daniel spreizte die Hände. »Vielleicht hat sie ja einen Vater, der nur nicht bei der Familie lebt. Und es gibt bestimmt Tanten oder eine Großmutter.«
»Ich hoffe nur, dass sie in Afrika leben oder in einem anderen Land, in das man Kamele mitnehmen kann.«
»Ja«, stimmte Daniel ihr zu. »Aber wenn nicht, dann kann Angel sie wenigstens noch einmal sehen, bevor sie abreisen muss.«
»Würden Sie sie denn behalten?« Emma wusste, dass sie einiges von Daniel verlangte. Sie hatte bereits gesehen, dass es viel Arbeit war, sich um Kamele zu kümmern. Aber sie fühlte sich irgendwie verantwortlich für Angel – als ob diese Rolle an sie übergegangen wäre, seit sie am Grab der Mutter gestanden hatte.
»Ich kann sie hier nicht gebrauchen«, erwiderte Daniel. »Aber ich könnte arrangieren, dass mein ältester Bruder sie nimmt. Er ist ein netter Mann und kann bestimmt etwas mit
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