Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
Gartenbeet, sammelte die kleinen Steine auf und warf sie auf einen Haufen.
Am späten Nachmittag tranken Daniel und Emma mit Mosi eine Tasse Tee. Die Männer saßem auf der Treppe, und Emma kauerte auf einem niedrigen, dreibeinigen Hocker. Er war aus einem einzigen Stück Holz geschnitzt, und die Sitzfläche bestand aus einer flachen Schale, die durch den Gebrauch glattgeschliffen worden war. Emma blickte müßig zum fernen Vulkan und trank ihren Tee. Sie war dem Beispiel der beiden Männer gefolgt und hatte einen Löffel Honig hineingerührt – sie spürte förmlich, wie das Arbeiten in der Hitze ihr Energie entzog. Zuerst schmeckte die rauchige Süße fremd, aber nach den ersten Schlucken hatte sie sich daran gewöhnt. Sie blickte zu den Kamelen. Sie standen nebeneinander und blickten jammervoll aus dem behelfsmäßigen Pferch, den Daniel und Mosi in der hinteren Ecke des Hofs errichtet hatten, zu ihnen herüber. Angebunden zu werden, schien ihnen auch nicht gefallen zu haben, aber in dem Gehege wirkten sie unglücklich. Emma hatte das Gefühl, dass sie es gewohnt waren, sich näher bei den Menschen aufzuhalten. Sie warf einen Blick auf das Gartenbeet. Sie hatte den ganzen Nachmittag mit den Männern daran gearbeitet, und jetzt war es frei von Unkraut und Steinen.
»Was wollen Sie pflanzen?«, fragte sie Daniel.
»Zunächst einmal Mais, Tomaten und Bohnen.«
Emma versuchte, sich grüne Pflanzen in der grauen Umgebung vorzustellen. Daniel hatte ihr erklärt, dass er einen Graben außen herumziehen würde, um jeden Tropfen aufzufangen und kein Wasser zu verschwenden. Während sie das Beet betrachtete, merkte sie plötzlich, dass die Stimmung umgeschlagen war und unbehaglich wurde. Sie wandte sich Daniel zu und sah, dass er einen Blick mit Mosi wechselte. Es machte den Eindruck, als wartete jeder der beiden darauf, dass der andere anfing zu sprechen.
Schließlich stellte Daniel seinen Becher hin. »Mosi hat angeboten, heute Nacht hierzubleiben, statt ins Dorf zurückzukehren. Ich kann ihm ein Lager im Labor aufschlagen.«
Emma verstand nicht, warum sie mit ihr darüber sprachen. »Wenn ihm das lieber ist …«
»Er würde lieber ins Dorf zurückkehren«, sagte Daniel. »Er hat dort Freunde. Aber er macht sich Sorgen um Ihren Ruf.«
Emma riss die Augen auf. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn richtig verstanden hatte.
»Letzte Nacht hat es sich um einen Notfall gehandelt«, erklärte Daniel. »Niemand würde uns kritisieren, weil wir hier unter einem Dach geschlafen haben. Aber heute würde es so aussehen, als ob wir das absichtlich täten.«
»Daniel hat recht«, bestätigte Mosi.
»Was mich angeht, so mache ich mir keine Gedanken«, sagte Daniel. »Ich denke an Sie.«
Emma trank einen Schluck Tee, um ihre Überraschung zu verbergen. Es kam ihr so altmodisch und spießig vor, sich über so etwas überhaupt Gedanken zu machen. Was würden Daniel und Mosi wohl denken, wenn sie wüssten, dass Simon und sie oft zu Konferenzen oder Sitzungen mit Mitgliedern des anderen Geschlechts reisten, manchmal in Gruppen, manchmal aber auch nur zu zweit. Viele der Teilnehmer teilten sich dabei nicht nur die Zimmer, sondern auch die Betten, und niemand dachte sich etwas dabei. Emma hatte noch nie mit einem Kollegen geschlafen und Simon wohl auch nicht – aber ganz sicher war sie sich nicht. Er war sehr verschlossen und beantwortete Fragen zu seiner Privatsphäre nur ungern. Emma verspürte plötzlich einen Stich, als sie daran dachte, wer im Moment mit ihm zusammenlebte und -arbeitete: Dr. Frida Erikssen, die Glaziologin aus Finnland. Simon hatte erwähnt, dass eine Frau an der Expedition teilnähme, aber erst bei der Abschiedsparty kurz vorher hatte Emma sie gesehen. Sie war eine klassische, nordische Schönheit, in den Dreißigern, mit einer perfekten honigfarbenen Haut. Kein Mann im Raum, Simon eingeschlossen, hatte den Blick von ihr abwenden können.
Emma zwang sich zu einem entspannten Lächeln. »Danke, aber es kümmert mich wirklich nicht, was die Leute denken. Schließlich kenne ich hier niemanden. Und morgen reise ich ja sowieso ab.«
»Dann ist es also kein Problem.« Mosi wirkte erfreut. »Ich gehe ins Dorf. Ich bin nämlich zu einem Hochzeitsfest eingeladen.«
Emma warf Daniel einen verstohlenen Blick zu. Sie fand, er sah auch so aus, als ob er sich freute. Vielleicht hatte er ja genau wie sie das Gefühl, dass sie einen Abend zu zweit verdienten, nach allem, was sie in den letzten zwei Tagen erlebt
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