Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
hatten.
Noch einmal flog das Flugzeug über sie hinweg, kurz bevor es dunkel wurde. Daniel bereitete das Abendessen in der Küche zu, und Emma saß daneben auf einem Hocker und schälte Erdnüsse. Als sie das ferne Brummen der Maschine hörte, sprang sie auf und blickte suchend zum Himmel, bis sie das Flugzeug entdeckte. Auch Daniel eilte heraus und stellte sich neben sie. Das Flugzeug kam aus der Wüste und flog zurück nach Malangu. Emma starrte nach oben. Sie stellte sich vor, dass Angel sicher und geborgen in der Kabine saß und ihr Martyrium ein Ende hatte. Daniel hatte ihr gesagt, der Pilot könne problemlos in der Wüste landen. Wenn jemand vom Flugzeug aus das Kind sah, brauchte er einfach nur herunterzugehen und zu landen – und dann konnte er sie mitnehmen.
Das Flugzeug flog niedrig über die Station und scheuchte die Kamele auf. Emma blickte Daniel an. Sie verstanden sich auch ohne Worte. Sie dachten beide dasselbe, hofften auf das gleiche Wunder. Sie schauten dem Flugzeug nach, dessen Unterseite in den letzten Strahlen der Abendsonne aufblitzte.
7
A ls die Schatten über dem Sand länger wurden, begann Angel, die Löwin zu beobachten. Sie wartete auf ein Zeichen, dass sie nach einer Höhle suchte. Die Sonne stand schon fast am Horizont; bald würde es dunkel werden.
Nervös blickte Angel nach links, wo in der Ferne der Berg Gottes zu sehen war. Den halben Nachmittag war der Vulkan direkt hinter ihr gewesen, wie schon die ganze Zeit, seit sie mit der Löwin ging. Jetzt fragte sie sich, warum sie von dem festen Kurs abgewichen waren. Zuerst hatte sie gedacht, die Löwin habe vielleicht einen speziellen Unterschlupf im Sinn, aber der Umweg war zu lang gewesen. Und die Löwin fühlte sich nicht wohl; sie lief mit gesenktem Kopf, ihr Schwanz zuckte hin und her. Die Jungen merkten, dass mit ihrer Mutter etwas nicht stimmte, und hielten sich dicht bei ihr. Angel folgte ihnen.
Die einzige Orientierungshilfe vor ihnen war ein Baum. Er ragte mit seinen weit ausladenden Ästen ungewöhnlich hoch in der Ebene empor. Anscheinend waren seine Wurzeln auf Wasser gestoßen. Die Löwin ging direkt darauf zu. Angel runzelte die Stirn. Das sah nicht nach einem geeigneten Platz für ein Nachtlager aus, denn rundherum war alles zu offen. Zwar konnte man ein paar große Felsen im gelben Gras erkennen, aber sie lagen viel zu weit auseinander, um Schutz zu bieten.
Noch ein gutes Stück von dem Baum entfernt, blieb die Löwin stehen. Sie hob den Kopf und stieß einen langen, hohen Ruflaut aus. Es klang wie das Gurren der Tauben, das Angel schon einmal gehört hatte, aber jetzt klang es irgendwie anders, verloren und klagend.
Erneut rief die Löwin und drehte den Kopf, als ob sie hoffte, eine Antwort zu hören. Aber nur Schweigen hing in der Luft. Noch nicht einmal Vögel zwitscherten in den Ästen des Baumes. Auch Insekten summten nicht. Die Löwin begann zu zittern – in rhythmischen Wellen erbebte ihr Körper. Angels Magen krampfte sich zusammen. Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper und versuchte, die Ursache für das Verhalten der Löwin zu entdecken. Alles schien normal.
Die Löwin ging weiter auf den Baum und auf die Felsen zu. Dabei schnüffelte sie am Boden. Ein leises Grollen drang aus ihrer Kehle.
Angel folgte ihr vorsichtig durch das hohe Gras. Trocken und spröde raschelte es an ihren Waden. Als sie näher an einen der großen Felsen kam, blieb sie erschrocken stehen. Das war kein Stein. Zwischen blassen gebogenen Rippen sah man dunkle Stellen. Rippen. Entsetzt schlug Angel sich die Hand auf den Mund.
Der Kadaver roch nicht. Bis auf ein paar getrocknete, schwarze Fleischfetzen waren die Knochen sauber abgenagt. Der Brustkorb war beinahe intakt, aber daneben lagen einzelne Knochen. Große, feste Knochen, an denen einst starke Muskeln gewesen waren. Überall lagen sie herum. Fell war nicht zu sehen – kein einziges Haar. Angel suchte unter den Knochen nach dem Schädel, aber er war nicht da.
Überall im Gras lagen weitere Kadaver. Die Löwin wanderte von einem Knochenhaufen zum nächsten, und die Welpen liefen um ihre Füße herum. Das leise Grollen wurde zu einem verzweifelten Stöhnen, wenn sie bei einem Kadaver stehen blieb und auf die Knochen blickte, bevor sie weiterging.
Es waren vier Skelette, die um den Baum herumlagen. Sie hatten keinen Kopf, und allen hatte man das Fell abgezogen. Kein Tier würde seine Beute in diesem Zustand liegen lassen, dachte Angel. Jemand hatte Felle und Köpfe
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