Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
die offene Ebene auf sie zu. Jetzt bewegte er sich wie ein junger Mann, den Körper aufrecht, den Kopf hoch erhoben.
Emma folgte ihm in einigem Abstand. Eine Stimme in ihr warnte sie vor der gefährlichen Situation, aber sie konnte nicht stehen bleiben. Der Anblick des großen, kraftvollen Tieres, das immer näher kam, zog sie magisch an. Nur vage nahm sie wahr, dass Daniel dicht hinter ihr ging.
Sicher lief Moyo zwischen den Felsen hindurch und kam langsam auf sie zu. Als sie unten am Hügel angekommen war, bewegte sie sich schneller. Emma konnte das Spiel ihrer Muskeln unter ihrem glatten Fell sehen. Die Kraft der Löwin war fast greifbar.
Und dann begann sie, direkt auf George zuzulaufen. Als sie immer schneller wurde, erstarrte Emma. Georges drahtiger Körper erschien ihr auf einmal dünn und verletzlich, und die Löwin sah aus, als wolle sie angreifen. Aber George ging ohne Angst immer weiter auf sie zu, und als Moyo bei ihm angekommen war, breitete er weit die Arme aus. Sie stellte sich auf die Hinterbeine und legte ihm die Vorderpfoten auf die Schultern. George taumelte zurück. Emma keuchte – es sah so aus, als würde die Löwin ihn unter sich begraben. Aber er hielt stand und balancierte das Gewicht der Löwin aus. Sie schlang die Vorderläufe um seine Schultern und hielt ihn fest. Auch George legte die Arme um das Tier. Sie rieben die Köpfe aneinander, und Moyo drückte ihr Maul an seinen Hals, sein Gesicht, seine Schultern. George vergrub seinen Kopf in ihrem Fell, und seine weißen Haare mischten sich mit ihren goldbraunen.
Schließlich ließ die Löwin von ihm ab. Sie stellte sich wieder auf alle viere vor ihn und schaute George an, als wolle sie ihren alten Freund ausführlich betrachten. Ihr Rücken war so hoch wie seine Taille, und die dunklen Kanten ihrer Ohren befanden sich in Höhe seiner Schultern. George umfasste ihren Kopf mit beiden Händen und beugte sich vor, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu drücken. Dann tätschelte er ihr die Seite, während sie die Vorderläufe um sein Bein schlang. Bald schon richtete sie sich wieder auf und zog George erneut in eine Umarmung. Jetzt rangelten sie miteinander, als wollten sie ihre Kräfte messen, aber es war kein aggressives Spiel – nur Zuneigung und Freude.
Als die beiden sich schließlich voneinander lösten, konnte Emma die perfekten, symmetrischen Züge der Löwin erkennen, ihre breite Stirn, das weiße Fell unter dem Kinn. Ihr Fell war golden und cremefarben, mit dunkelbraunen und schwarzen Flecken und Linien. Sie sah aus wie von einem Maler gemalt, mit dunklen Pinselstrichen, um die Form ihrer Augen und ihrer Ohren zu betonen, um ihr Maul und ihre dreieckige Nase hervorzuheben.
George begann, auf Emma und Daniel zuzugehen. Moyo folgte ihm, den Kopf vorsichtig gesenkt. Dabei schnüffelte sie, und ihre Ohren waren ständig in Bewegung, um alle Geräusche ihrer Umgebung wahrzunehmen. Direkt vor Emma und Daniel blieb sie stehen. Sie wirkte beinahe unsicher.
»Bleiben Sie einfach still stehen«, sagte George ruhig. »Blicken Sie ihr nicht in die Augen. Sie muss die erste Bewegung machen.«
Emma hielt die Arme steif an den Seiten. Ihr Herz klopfte heftig. Sie hörte Moyo atmen, und dann spürte sie den warmen Atem auf ihrer Haut und roch den salzigen Geruch von frischem, rohem Fleisch.
Moyo schnüffelte an ihrem Körper. Ihr großer Körper glitt an ihrem Oberkörper, ihren Armen entlang, und ihre Schnurrhaare streiften ihren Hals und ihr Gesicht. Emma sah auf einmal die tiefroten Narben an Georges Nacken vor sich, aber dann rief sie sich in Erinnerung, dass das hier Moyo war: die Löwin, der man immer vertrauen konnte. Sie bemühte sich, es zu glauben.
Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis Moyo schließlich ihre Aufmerksamkeit Daniel zuwandte und ihre Nase gegen seinen nackten Oberkörper stieß.
Jetzt konnte Emma sie aus der Nähe betrachten – die Schweißflecken auf dem braungelben Fell; die hellere Gesichtsmaske, die von kleinen Narben durchzogen war. Fliegen saßen wie schwarze Punkte um ihre Augen herum, und ein Ohr hatte einen Riss. An der linken Vorderpfote fehlte die vierte Kralle.
Emma blickte Daniel an. Seine Augen waren groß vor Staunen und Entzücken. Er wirkte wie verzaubert. Als Moyo schließlich zurückwich, machte er einen Schritt hinter ihr her, als würde er an einer unsichtbaren Schnur gezogen.
Moyo trottete zu George und blickte ihn eindringlich an. Ein leises Grollen drang aus ihrer Kehle.
Die Löwin ging
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