Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
monoton.«
Er schaute sie an und schüttelte dann den Kopf. »Die Wüste ist genau die gleiche. Sie haben sich geändert.« Er klang erfreut, als ob ihre Wahrnehmung etwas mit ihm zu tun hätte.
Emma blickte über die Ebene. Daniel hatte recht – die Landschaft wurde immer realer für sie, und deshalb sah sie mehr Einzelheiten. Diese Erfahrung hatte sie auf ihren Reisen schon öfter gemacht. Jede neue Stadt – Paris, Madrid, Houston – war zuerst nur eine verwirrende Ansammlung von Cafés, Geschäften, Autobahnen, hohen Gebäuden und Parks, bis sie Ereignisse und Menschen damit verband. Danach wurde der Ort lebendig für sie. Sie blickte aus dem Seitenfenster auf den Vulkan. Sogar der Berg Gottes sah anders aus. Die Hänge erschienen ihr steiler, und die ungewöhnliche weiße Lava reichte vom Gipfel weiter herunter.
Das Gebiet um den Grabhügel war mit fluoreszierendem gelbem Polizeiband abgesperrt. Emma stieg über die Absperrung und betrachtete die Steine, die herumlagen. Lauras Leiche war weg. Die rosa Blumen, die Emma an ihre Füße gelegt hatte, waren vertrocknet und lagen im Sand, ebenso eine leere Coladose und Zigarettenkippen.
Emma starrte auf die Stelle, wo Laura gelegen hatte, und versuchte, sich das blasse, schöne Gesicht in Erinnerung zu rufen. Sie konnte nur hoffen, dass Lauras Essenz in gewisser Weise noch da war. Dann würde sie wissen, dass Emma und Daniel zurückgekehrt waren – dass sie Angel nicht im Stich gelassen hatten.
George trat neben sie und schwieg einen Moment lang, als erweise er der Toten die letzte Ehre. Dann trat er um den großen Stein herum, von dem aus man den Ort überblicken konnte. Er stützte sich ab und begann, hinaufzuklettern. Er bewegte sich mühsam. Er trug eine ärmellose Safariweste, seine Haare fielen ihm ins Gesicht, und das Fernglas hing an einer Schnur um seinen Hals und schwang hin und her. Mit einer Hand stützte er sich ab, in der anderen hielt er ein altes, orange angestrichenes Megaphon. Daniel trat vor und hielt ihm die Hand hin, aber George lehnte die Hilfe höflich ab. Als er oben auf dem Felsen stand, setzte er das Megaphon an die Lippen.
Ein seltsamer Laut – halb gesungen, halb gesprochen – erschallte übers Land. Emma versuchte, Wörter zu erkennen, aber es gelang ihr nicht. Entweder verzerrte das Megaphon Georges Stimme bis zur Unkenntlichkeit, oder aber er sprach in einer fremden Sprache. Mehrere Male wiederholte er den Ruf in verschiedene Richtungen, dann ließ er das Megaphon sinken. Mit dem Fernglas suchte er die Landschaft ab. Schließlich rief er noch einmal.
Alles war still. Ein großer schwarzer Vogel bewegte sich unruhig auf einem Baum. Ein Zweig knackte unter Emmas Füßen, als sie ihr Gewicht verlagerte. Erneut rief George. Nichts.
»Nun, hier in der Gegend ist sie nicht«, sagte George schließlich. Er sprang vom Felsen herunter und ging wieder auf den Landrover zu.
Daniel und Emma folgten ihm. Am Wagen blieb George stehen und blickte zu Boden. »Vielleicht ist sie wieder in ihr altes Gebiet zurückgegangen. Aber – ich weiß nicht. Was soll sie dort? Das ist die Frage …« Nachdenklich strich er sich über den Bart. Dann blickte er auf. »Wir fahren ins alte Camp! Einen Versuch ist es wert. Möglicherweise hat sie das Mädchen dorthin gebracht, weil sie hoffte, mich dort zu finden.«
Emma zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts. Sie hatte Angst, ihre Stimme könnte verraten, wie enttäuscht sie war. Zweifel stiegen in ihr auf. Sie hatte zu große Hoffnungen auf den Löwenmann gesetzt. Schweigend stieg sie in den Landrover und blickte nach vorn.
Emma folgte George zu einer großen Dornenakazie mit tiefhängenden Ästen. Als sie unter die Krone trat, stellte sie fest, dass das Laub überraschend grün und dicht war. Neben dem Stamm stand ein kleines Gestell wie ein Schrank ohne Seitenteile, grob aus Ästen zusammengenagelt.
»Das Waschgestell«, sagte George, »und dort ist die Feuerstelle.« Er zeigte auf ein Dreieck von rußgeschwärzten Steinen. »Mehr gibt es jetzt hier nicht mehr. Die Hütte habe ich abgebaut, bevor ich weggegangen bin. Warum sollte ich den Wilddieben eine Unterkunft zur Verfügung stellen?«
Er blickte sich um. Sein Megaphon, das er sich um das knochige Handgelenk gebunden hatte, baumelte leicht hin und her.
»Ich bin drei Monate hiergeblieben und habe versucht, Moyo zu überreden, ein wilder Löwe zu werden. Sie wollte einfach nicht allein weggehen. Am Ende schoss ich eine Gazelle
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