Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
Emma.
»Immer das Gleiche. Wir sollen sie in Ruhe lassen und weggehen.«
Emma war frustriert, aber auch erleichtert darüber, dass Angel so stark und selbstbewusst zu sein schien. »Sagen Sie ihr, wir müssen uns davon überzeugen, dass es ihr gutgeht.«
Daniel trat näher an die Höhle und sagte etwas mit seiner klaren, sanften Stimme. Eine Weile unterhielten sie sich. Dann wandte er sich wieder an Emma. »Sie will wissen, wer Sie sind und warum Sie hier sind.«
Emma nickte. Das klang so, als seien sie einen Schritt weitergekommen. Sie überlegte, wie sie die Frage am besten beantworten sollte. Schließlich war sie weder eine Verwandte noch eine Freundin der Familie – noch nicht einmal jemand von der Botschaft oder dem Roten Kreuz. Sie war … niemand. Sie beschloss, es mit der Wahrheit zu versuchen. »Sagen Sie ihr, die Kamele haben mich gefunden. Deshalb bin ich hier. Wegen Mama Kitu und Matata.«
In dem Moment, in dem Emma die Kamele beim Namen nannte, trat Angel aus den Schatten heraus. Ein paar Sekunden lang stand sie still und blinzelte in das helle Sonnenlicht. Ihre braune Tunika und ihre Hose waren zerknittert und staubig, und ihre blonden Haare fielen ihr wirr auf die Schultern. Aber ihre glatte, sonnengebräunte Haut war sauber. Ihre Augen waren hell und klar, ihre Lippen rosig.
»Wo sind sie? Geht es ihnen gut?« Sie sprach Englisch mit einem ähnlichen Akzent wie George.
Emma trat ein paar Schritte auf sie zu, blieb aber stehen, als Angel in die Schatten zurückwich. »Ja, es geht ihnen gut. Mama Kitu hat einen verletzten Fuß, aber sie wird wieder gesund.« Sie zeigte auf Daniel. »Daniel ist Tierarzt. Er hat den Fuß operiert. Während wir hier sind, kümmert sich jemand um sie.«
Erneut trat Angel ein paar Schritte vor. »Was ist mit Matata?«
»Ihm geht es auch gut.« Emma lächelte beruhigend. Am liebsten wäre sie zu Angel gerannt und hätte sie in den Arm genommen, um sie zu berühren und festzuhalten – um sich zu vergewissern, dass sie nicht wieder verschwinden würde. Aber sie achtete darauf, dass sie ihr nicht zu nahe kam. »Er war sehr ungezogen. Er hat alle Sachen aus euren Satteltaschen gezogen und ein großes Chaos angerichtet.«
Ein Lächeln huschte über Angels Gesicht. Aber dann blickte sie Emma verwirrt an. »Woher weißt du ihre Namen?« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und hob den Kopf. »Und woher kennst du meinen Namen?«
»Ich habe dein Malbuch gefunden und das Bild von deiner Familie gesehen. Darunter standen die Namen. Angel, Mama Kitu, Matata und … deine Mutter.«
»Sie ist tot«, sagte Angel. »Eine Schlange hat sie gebissen.«
Die Worte schienen die Luft zu durchschneiden. Angel presste die Lippen zusammen, als ob sie bereute, sie ausgesprochen zu haben.
»Ich weiß«, sagte Emma mit erstickter Stimme. »Es … es tut mir so leid.« Sie hatte einen Kloß im Hals.
»Wieso weißt du von ihr?« Angel ließ die Arme sinken. Sie sah plötzlich verletzlich aus.
Emma holte tief Luft. »Wir sind den Kamelspuren bis zum Grab gefolgt und haben dort deine Spuren entdeckt. Wir haben auch ihre Tasche gefunden und ein Foto von euch beiden in der Brieftasche. Dann sind wir sofort nach Malangu gefahren und haben die Polizei informiert. Sie haben eine große Suchaktion nach dir eingeleitet.«
Während Emma redete, bewegte sich Angel langsam auf die Löwin zu. George wich zurück, um ihr Platz zu machen. Ihre Schultern waren fast auf einer Höhe mit dem Rücken der Löwin. Sie war schmal, ihre Arme und Beine waren dünn und knochig. Und doch waren ihre Bewegungen selbstbewusst und stark. Emma konnte sich vorstellen, wie sie all diese Steine über der Leiche ihrer Mutter aufgetürmt hatte. Aber ihr Anblick versetzte ihr auch einen schmerzhaften Stich ins Herz. Angel war viel zu jung und zu klein, um schon so tapfer zu sein.
Moyo wandte Angel ihr Gesicht zu und begann, ihr die Wange zu lecken – die rosa Zunge strich gleichmäßig über die helle Haut. Die Jungen drängten sich um Angel, sprangen an ihr hoch und wetteiferten um ihre Aufmerksamkeit. Sie tätschelte jeden von ihnen und bückte sich, um einen auf den Arm zu nehmen. Das Junge sah groß aus in ihren Armen, aber trotzdem kuschelte es sich zufrieden an sie. Angel rieb ihre Nase in seinem Fell. Sie ging ganz natürlich und intim mit ihnen um. Mit ihren braunen Kleidern, ihrem hellblonden Haar und ihrer gebräunten Haut sah sie aus, als ob sie zu den Löwen gehörte – mehr als zu den Menschen, die
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