Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
müde aus, dachte Emma. Die lange anstrengende Fahrt heute hatte ihn erschöpft. Aber seine Augen leuchteten.
Angel stellte sich neben die Kiste.
Moyo blickte immer noch den Eimer mit dem Fleisch an. Sie trat auf der Stelle. Bestimmt wurden ihr die Zwänge des korrekten Verhaltens langsam zu viel.
George ergriff ein Stück Fleisch und hielt es ihr hin. Er schwenkte es leicht hin und her. Erst jetzt kam die Löwin mit gesenktem Kopf auf ihn zu. Vorsichtig, fast zärtlich, nahm sie das Stück Fleisch aus seiner Hand, wobei sie kaum die Zähne zeigte. Dann entfernte sie sich ein paar Meter und begann zu kauen. Ein leises, warnendes Grollen hielt die Jungen zurück.
George warf den Löwenjungen kleinere Stücke Fleisch zu. Sie umkreisten sie und stupsten sie vorsichtig mit der Nase an. Hilfesuchend blickten sie zu ihrer Mutter. Dann begann eines der Jungen, zu lecken und zu kauen. Bald fraßen alle drei hungrig.
Als Moyo mit ihrer Portion fertig war, kam sie erneut zu George und stellte sich vor ihn.
»Kann ich ihr etwas geben?«, fragte Angel.
George wies auf den Eimer. Angel wählte ein großes Stück Fleisch, über das ein Streifen einer dunklen, lockigen Mähne verlief. Die Löwin beobachtete sie. Sie stand ganz still, die Ohren gespitzt, das Maul leicht geöffnet. Angel nahm das Fleisch in beide Hände und trat langsam auf Moyo zu. Als sie dicht vor ihr stand, blickte Moyo sie einen Moment lang an, dann öffnete sie das Maul so weit, dass man die Spitzen ihrer Fangzähne sah. Mit der Zunge leckte sie zart und vorsichtig über das Fleisch. Dann öffnete sie das Maul weiter, packte das Stück und trug es weg.
Angels Augen leuchteten, als ob ein Licht darin entzündet worden wäre. Auch die Augen des alten Mannes glänzten.
Angel verteilte weiter das Fleisch, die kleinen Stücke an die Jungen und die großen an Moyo. Es ging alles ganz gemächlich vonstatten. Das Mahl war wie eine Zeremonie, die Zeit und Sorgfalt erforderte. Die Sonne sank tiefer, und ihre Strahlen umgaben Moyos Fell mit einem goldenen Rand. Angels Haare leuchteten wie ein Heiligenschein.
Als alles Fleisch verteilt war, trug George den Eimer zu einem Wassertank. Er füllte einen kleinen Krug und goss einen Schwall Wasser über Angels Hände. Rasch rieb sie sich das Blut von den Händen und hielt sie dabei geschickt unter den dünnen Wasserstrahl. Das Wasser lief in den Eimer und trommelte laut gegen das Emaille. Als Angel fertig war, nahm sie den Krug und goss Wasser über Georges Hände. Wahrscheinlich war ihr diese Art, sich die Hände zu waschen, wesentlich vertrauter als unter einem Wasserhahn an einem Waschbecken, dachte Emma.
»Was für ein Tier war das?«, fragte Angel.
»Kamel«, antwortete George.
Angels Kopf fuhr hoch. Emma warf George einen warnenden Blick zu, aber er schien es nicht zu bemerken.
»Manchmal schieße ich ein Impala oder eine Gazelle, aber hauptsächlich kaufe ich ungewollte lebende Tiere für die Löwen. Ziegen oder Kamele, gelegentlich auch einen Esel.«
Angel runzelte die Stirn. »Was meinst du mit ungewollt?«
»Tiere, die zu alt zum Arbeiten sind«, erwiderte George. »Wenn sie niemand mehr will, verhungern sie.«
Angel blickte ihn ein paar Sekunden lang an, dann nickte sie. Ihr Gesicht hellte sich auf, als ob diese Regelung ihr sinnvoll erscheinen würde. »Essen wir heute Abend auch Kamel?«
George schüttelte den Kopf. Er zeigte auf ein eingezäuntes Stück Hof in einiger Entfernung. Zuerst konnte Emma nur Sand und ein paar Steine erkennen. Aber dann entdeckte sie ein paar graue Federn, einige davon weißgesprenkelt, die so aussahen wie das Gefieder der Perlhühner, die sie in der Station gesehen hatte.
»Magst du Kanga -Eintopf?«, fragte George Angel.
Sie kniff die Augen zusammen, als ob die Frage ein Trick sein könnte. »Ich mag alles.«
Mehrere Sturmlaternen, die an langen Drahthaken vom Dach herunterhingen, tauchten den Raum in ein gelbes Licht. Emma stand am Esstisch, ein Kristallglas mit Sherry in der Hand. Sie trank in kleinen Schlucken und ließ die süße Wärme über ihre Zunge gleiten. An der Anrichte untersuchten Daniel und George eine kaputte Laterne und tauschten leise ihre Meinung dazu aus, wie man sie am besten reparieren könnte. Angel stand nahe an der offenen Vorderseite der Hütte. Ihre Haare fielen ihr über den Rücken. Sie betrachtete die Fotografien, die an der Wand hingen. Den Rest der Galerie hatte sie sich schon angeschaut, wobei sie langsam von einem Löwenbild zum
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