Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
Ladefläche herunter und trat auf Ndisi zu. Als sie vor ihm stand, hob sie ihre rechte Hand. Ndisi senkte den Kopf.
»Shikamu, baba«, sagte sie und berührte leicht seine randlose Kappe.
»Marahaba«, erwiderte Ndisi.
Emma blickte Daniel fragend an.
»Sie hat gesagt, ›Ich küsse deine Füße, Vater‹«, erwiderte er staunend. »Und Ndisi hat geantwortet, ›Nur ein paar Mal‹.« Er nickte zustimmend. »Es ist die korrekte Art für ein afrikanisches Kind, einen Älteren zu begrüßen.«
Ndisi wandte sich an Emma. »Ist sie dein Kind?«
Die Frage überraschte Emma, aber dann wurde ihr klar, dass die Annahme logisch war – schließlich hatten sie die gleiche Hautfarbe. Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
Ndisi blickte sie verwirrt an. »Woher kommt sie denn?«
»Ich werde es dir erklären«, sagte George. »Aber nicht jetzt.«
Angel trat hinten an den Landrover zu den Jungen. Sie standen am Rand der Ladefläche, die Pfoten auf die Klappe gestützt.
»Sie wollen herunter«, sagte sie.
Daniel trat zu ihr. Er ergriff eines der Löwenjungen und reichte es ihr mit der gleichen sanften Sicherheit, die Emma schon bei seinem Umgang mit dem Lamm und den Kamelen gesehen hatte. Angel ließ es vorsichtig zu Boden gleiten. Dann ergriff er nacheinander die anderen beiden Jungen und reichte sie ihr ebenfalls.
Die Jungen rannten sofort zu Moyo, wobei sie übereinanderpurzelten, so eilig hatten sie es, Schutz zwischen ihren Vorderbeinen zu suchen.
»Haben wir Fleisch da, Ndisi?«, fragte George.
Ndisi starrte Angel gebannt an. »Ja«, erwiderte er und riss sich von ihrem Anblick los.
»Dann wollen wir Moyo ihr Abendessen geben, ja?«, sagte George zu Angel.
Er ging nach hinten ins Camp. Moyo sprang auf und folgte ihm. Die Jungen und Angel blieben ihr dicht auf den Fersen. Auch Emma und Daniel liefen hinter ihm her. Ndisi nahm seinen Platz am Feuer wieder ein.
Im Schatten einer Akazie stand ein alter Kühlschrank, der an eine große Gasflasche angeschlossen war. Die Tür war zerbeult und rostig, mit braunen Blutflecken verschmiert. George nahm einen Emailleeimer – weiß, mit dunklen Kerben am Rand – von einem Haken am Baum und reichte ihn Angel.
»Meine Löwen kommen mich oft besuchen. Sie bringen ihre Familien mit. Ihre Partner, ihre Jungen.« Während George sprach, versuchte er, den Kühlschrank zu öffnen, aber das Schloss klemmte. Grunzend zerrte er am Griff. »Ich versuche immer, dafür zu sorgen, dass ich etwas für sie da habe.«
Die Tür ging quietschend auf. Im Kühlschrank stand eine Plastikwanne voller Fleisch. Es war grob in große Stücke gehackt, das Fell war noch daran: Flecken von braunen Haaren bedeckten rotes Fleisch. Emma erkannte ein kugeliges Ohr und eine Schwanzquaste.
George begann, Stücke herauszuholen und sie in den Eimer zu legen. »Sag mir, wenn es dir zu schwer wird.«
Angel drückte den Eimer an die Brust und umschlang ihn mit ihren dünnen Armen. »Er wird mir nicht zu schwer. Ich bin stark.«
Obwohl es schon so spät war, sammelten sich augenblicklich Fliegen auf dem Fleisch. Eine landete auf Angels Wange, aber sie achtete nicht darauf.
Moyo behielt den Eimer scharf im Auge. Emma beobachtete sie nervös. Vielleicht wurde die Löwin beim Anblick vom rohen Fleisch ja doch gefährlich. Sie dachte daran, dass sie auch in der Zeit, in der Angel bei ihr gewesen war, Tiere gejagt und sie gefressen hatte. Aber selbst jetzt wirkte die Löwin nicht aggressiv. Sie schien eher akzeptierte Regeln zu befolgen. Sie war ein paar Schritte hinter George und Angel stehen geblieben und hielt auch ihre Jungen zurück. Wenn sie zum Kühlschrank laufen wollten, knurrte sie.
Als der Eimer voll war, schloss George die Kühlschranktür wieder. Er nahm Angel den schweren Eimer ab. »Gut gemacht.«
Angel atmete auf, als sie die Arme sinken ließ. Emma war klar, dass ihr der Eimer doch zu schwer gewesen war, aber sie hatte es nicht zugeben wollen. Sie beobachtete Angel, wie sie dastand, bereit, erneut zu helfen. Stolz stieg in Emma auf – als ob die Stärke und Widerstandskraft des Kindes irgendwie mit ihr verbunden wäre.
George trug das Fleisch zu einem Lehnstuhl, der aus Ästen grob zusammengenagelt worden war. Daneben stand eine Holzkiste. Auf den Seiten standen in schwarzen Buchstaben, die vom Alter verblichen und beinahe unleserlich waren, die Worte EAST AFRICAN AIRLINES. NAIROBI. WARNUNG – LEBENDER LÖWE. George stellte den Eimer auf die Kiste und setzte sich auf den Stuhl. Er sah
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