Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
Spannung anscheinend mitbekam. Sie überlegte, was sie sagen könnte, um das Thema zu wechseln. Hilfesuchend blickte sie Daniel an. Aber er hatte sich vorgebeugt und wandte sich an George.
»Warum sind Ihre Gehilfen Ihrer Meinung nach verschont geblieben?«, fragte er.
Das Thema war für Daniel interessant, erkannte Emma. Er würde nicht lockerlassen.
»Sie hatten wohl einen Schutz dagegen, über den die anderen nicht verfügten«, sagte George. »Ich habe es auf die bessere Ernährung zurückgeführt. Meine Leute sind die Einzigen im Dorf mit einem regelmäßigen Einkommen.«
»Vielleicht«, sagte Daniel, »aber ich habe auch gesunde, junge Leute gesehen, die der Virus getötet hat.«
Ndisi nickte. Sein Blick war gequält, als ob er die Horrorszenen noch einmal durchlebte.
George wollte gerade weitersprechen, als eine schwarze, dreieckige Nase, gefolgt von einem pelzigen Gesicht, sich unter seinen Arm schob. Zwei Pfoten legten sich um sein Bein, und ein lauter, drängender Laut ertönte. Alle blickten auf. George lächelte das Löwenjunge an. »Ach, du möchtest wohl etwas von unserem Essen?« Er gab ihm einen Klecks Maisbrei. Das Junge stieß mit seiner Schnauze in den Klumpen, zuckte aber sofort wieder zurück. Weißer Brei klebte an Fell und Schnurrhaaren. Der kleine Löwe schüttelte den Kopf und verzog angewidert das Gesicht. Alle mussten lachen bei dem komischen Anblick, und in das Lachen mischte sich Erleichterung über die Unterbrechung. Angel ergriff das Junge und drückte es an sich.
Nach und nach begannen alle wieder zu essen. Hände bewegten sich zwischen den beiden Töpfen hin und her, überkreuzten sich, berührten sich manchmal – helle Hände und dunkelhäutige, große und kleine. Draußen ertönten der Schrei einer Nachteule und das Gurren der Perlhühner, die in den Bäumen saßen. Das Schweigen war gelöst, und schlimme Erinnerungen waren für eine Zeitlang gebannt. Während sie aß, betrachtete Emma die Galerie der Fotos und ließ ihren Blick über die Porträts gleiten – ein Pantheon der Löwen, die alle auf sie herabsahen.
George trank den letzten Schluck Tee. »Ich glaube, es ist Zeit, ins Bett zu gehen.«
Emma unterdrückte ein Gähnen. Es war zwar noch nicht spät, aber sie war sehr müde – der Tag hatte früh angefangen, und so viel war passiert. Sie blickte zu Angel, die mit dem Kopf an Moyos Schulter lehnte, die Augen halb geschlossen. Dann wandte sie sich an Daniel. Ob er wohl schon wusste, wo sie heute Nacht schlafen sollten?
»Wir haben Schlafsäcke und Netze«, sagte Daniel zu George.
»Hier brauchen Sie keine Netze«, erwiderte der alte Mann. »Es ist zu trocken für Moskitos.«
»Ich hätte trotzdem gerne eins«, sagte Emma hastig. Netze hielten auch andere Tiere fern: Skorpione, Spinnen, Mäuse, vielleicht sogar Schlangen.
»Ich schlafe in der trockenen Jahreszeit immer draußen«, fuhr George fort, »aber wenn Sie lieber ein Dach über dem Kopf haben, meine Hütte ist frei, und es gibt auch eine Gästehütte. Ndisi kann Ihnen zwei Feldbetten holen.«
Er stand auf und streckte sich. Sofort hob Moyo den Kopf. George nickte ihr zu. »Du leistest mir Gesellschaft, was, altes Mädchen?« Der Mann und die Löwin blickten einander in die Augen, als ob sie Gedanken und Erinnerungen miteinander teilten. Dann erhob sich Moyo und weckte dadurch die Jungen, die sich verwirrt aufrichteten. Auch Angel stand auf und griff mit einer Hand in das dichte Fell der Löwin, als ob sie Angst hätte, allein zurückzubleiben.
George nahm eine der Lampen vom Haken und ging voraus zum Eingang, gefolgt von Moyo und Angel. Die Jungen torkelten hinter ihnen her.
Emma beobachtete sie ungläubig. Sie gingen einfach nach draußen zum Schlafen, als sei es das Normalste von der Welt.
Ndisi schüttelte seufzend den Kopf. »Ich hoffe nur, Moyo benimmt sich wie eine erwachsene Löwin und steigt nicht aufs Bett.« Er wandte sich an Emma und Daniel. »Wo möchten Sie gerne schlafen? Ich persönlich schlafe in meiner Hütte. Aber Sie können es sich aussuchen. Wie es Ihnen gefällt.« Wieder klang er wie ein Hotelier, der zahlreiche Suiten anzubieten hatte.
»Wo ist die Gästehütte?«, fragte Emma. Draußen wollte sie ganz bestimmt nicht schlafen, aber sie wollte auch nicht zu weit entfernt von Angel sein.
»Dort, neben der Hütte des bwana. « Er zeigte nach draußen, wo man im Schein von Georges Lampe die Umrisse von zwei strohgedeckten Hütten sehen konnte.
»Das ist perfekt.« Emma zwang
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