Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
Erste-Hilfe-Beauftragte war, aber Simon war einer der Experten. Er hielt einen Vortrag über Risiko-Management in der Antarktis, zeigte Dias und führte die Ausrüstung vor. Emma war fasziniert gewesen von seiner selbstsicheren Art, die vermittelte, dass er sogar mit den extremsten Bedingungen fertigwurde. Auf einem Dia, auf dem man sah, wie er in Überlebensausrüstung einen Eisberg skalierte, wirkte er fast übermenschlich. Diese Aura umgab ihn auch noch, als er nach seinem Vortrag in seiner elegant-lässigen Kleidung an der Kaffeemaschine stand. Emma sprach ihn unter dem Vorwand an, etwas über die Sicherheitsvorkehrungen im Labor wissen zu müssen. Sie traute sich kaum, auf ihn zuzugehen, zumal er aus der Nähe noch besser aussah als auf dem Podium. Sie stellte ihre Frage und tat so, als interessierte sie die Antwort. Dabei beobachtete sie seine lockere Haltung und die Art, wie selbstbewusst er der Welt entgegentrat. Erstaunlicherweise schien er sich ebenfalls zu Emma hingezogen zu fühlen. Nachdem sie sich eine Weile unterhalten hatten, lud er sie zum Essen ein. Kein Zögern war in seiner Stimme zu spüren, keine Angst vor Zurückweisung. Sie sagte auf der Stelle zu. In diesem Moment wollte sie nichts mehr als ihm nahe sein.
Diese erste Verabredung führte zu weiteren und schließlich zu einer Beziehung. In diesen ersten Monaten bemühte sich Emma, nichts zu tun, was in Simon Zweifel wecken könnte, ob sie überhaupt die richtige Partnerin für ihn war. Das war nicht allzu schwierig, denn sie wusste ja, wie sie bei der Arbeit im Institut Entschlossenheit und Autorität vermitteln musste; diese Verhaltensweisen übertrug sie jetzt einfach auch auf ihr Privatleben. Mit der Zeit hatte Emma das Gefühl, wie Simon zu werden – als ob sich seine Sicherheit, was seinen Platz in der Welt anging, auf sie übertragen würde, nur weil sie mit ihm zusammen war. Aber jetzt sah sie auf einmal deutlich, dass sie sich etwas vorgemacht hatte. Das Selbstbewusstsein und die Unabhängigkeit, die sie Simon gegenüber vorgab, waren nur Fassade wie ein Verband über einer Wunde, die immer tiefer wurde.
Emma warf einen letzten Blick auf Angel und ließ ihre Blicke über den kleinen, zusammengerollten Körper gleiten. Das Kind war bestimmt schon an der Grenze seiner Widerstandskraft angelangt – es war so tapfer und beherrscht. Ob das bedeutete, dass auch Angel ihr ganzes Leben nach jemandem suchen würde, der sie für diese Situation entschädigen würde? Emma konnte nur hoffen, dass das Leben des kleinen Mädchens nicht genauso verlief wie ihres.
Sie wandte sich ab, trat zu Daniel ans Kochfeuer und setzte sich auf einen Schemel neben ihn.
»Schläft sie?«, fragte Daniel.
»Noch nicht«, erwiderte Emma. »Aber ich hoffe, sie schläft bald ein. Morgen wird ein anstrengender Tag für sie.« Unbehagen stieg in ihr auf, als sie versuchte, sich vorzustellen, wie der morgige Tag ablaufen würde.
Daniel nickte. »George muss die Polizei verständigen und ihnen sagen, dass wir sie gefunden haben.«
»Und was passiert dann?«
»Sie schicken jemanden, um sie abzuholen. Oder sie weisen uns an, sie nach Malangu zu bringen. Vielleicht sollten wir das sowieso anbieten. Dann können wir an der Station anhalten, und sie kann die Kamele sehen. Das wäre gut. Wir wissen ja nicht, was passiert, wenn sie erst einmal nicht mehr bei uns ist.«
Emma musterte ihn schweigend. Sie wünschte, sie wüsste, wer die nächsten Verwandten waren und wo sie lebten. »Ich hoffe, es wird alles gut für sie.«
»Ich auch.«
Emma runzelte die Stirn. »Ich kann mir nicht vorstellen, sie einfach abzugeben und wegzugehen. Ich weiß ja, dass wir nicht über sie bestimmen können. Aber ich möchte mich wenigstens überzeugen, dass es ihr gutgeht.«
»Ich auch«, sagte Daniel. »Aber das liegt nicht in unseren Händen.«
Sie schwiegen beide. Schließlich sagte Daniel: »Und was werden Sie tun, jetzt, nachdem wir Angel gefunden haben?«
Emma seufzte. »Ich weiß nicht. Ich glaube, ich möchte nicht mehr an der Safari teilnehmen. Es wäre zu seltsam, nach alldem hier …«
Daniel lächelte. »Sie würden Löwen sehen, die umgeben sind von Land Cruisern und Minibussen.«
»Genau das meine ich. Aber nach Hause zu fahren wäre auch seltsam. Diese Reise war so …« Emma suchte nach dem richtigen Wort, gab dann aber auf, ohne den Satz zu beenden. Sie versuchte, sich ihre Rückkehr in die reale Welt vorzustellen. Sie stellte sich vor, wie sie die Tür zu ihrer
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