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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carson McCullers
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ihm im Zimmer war. Der Stuhl schaukelte hin und her. Was wusste er? Nichts. Was war sein Ziel? Es gab keines. Was wollte er? Erkennen. Was erkennen? Einen Sinn. Warum? Ein Rätsel.
    Wie die Teile eines Puzzles lagen die Bilder verstreut in seinem Kopf. Alice, wie sie sich in der Badewanne einseifte. Die Fratze von Mussolini. Mick, wie sie das Baby im Handwagen hinter sich herzog. Ein gebratener Truthahn im Schaufenster. Blounts Mund. Singers Gesicht. Er wartete auf irgendetwas. Im Zimmer war es nun ganz dunkel. Aus der Küche hörte er Louis singen.
    Biff stand auf und hielt den Schaukelstuhl an. Er öffnete die Tür und fand es draußen in der Diele sehr warm und hell. Vielleicht, fiel ihm ein, würde Mick ja kommen. Er zog seinen Anzug glatt und strich sich das Haar zurück. Er fühlte sich wieder wohlig und munter. Im Restaurant herrschte Hochbetrieb. Zeit für den Stammtisch und das Sonntagabendessen. Er lächelte dem jungen Harry freundlich zu und nahm seinen Posten hinter der Registrierkasse ein. Mit einem Blick fing er den ganzen Raum wie mit einem Lasso ein. Das Lokal war voller Menschen, voll summender Stimmen. Die Obstschale im Fenster nahm sich sehr vornehm und künstlerisch aus. Biff behielt die Tür im Auge und beobachtete weiter den Raum mit seinem geschultem Blick, immer wachsam, immer gespannt wartend. Endlich kam Singer und schrieb mit seinem silbernen Bleistift, er sei erkältet und wolle nur Suppe und Whisky. Mick kam nicht.
    9
     
    Sie hatte nun für sich selber keine fünf Cent mehr – so arm waren sie jetzt. Alles drehte sich ums Geld. Den ganzen Tag über: Geld, Geld, Geld! Das Einzelzimmer und die Privatpflegerin für Baby hatten sie völlig ruiniert. Und das war nur eine Rechnung von vielen. Sobald eine Sache bezahlt war, tauchte gleich eine neue auf. Sie hatten rund zweihundert Dollar Schulden, die umgehend beglichen werden mussten. Sie verkauften das Haus. Davon blieben Paps hundert Dollar, die Hypothek wurde von der Bank übernommen. Dann borgte ihr Papa noch fünfzig Dollar, für die Mister Singer die Bürgschaft übernahm, und nun mussten sie sich jeden Ersten wegen der Miete den Kopf zerbrechen wie früher wegen der Grundsteuer. Es fehlte nicht viel, und sie waren genauso arm wie Fabrikarbeiter. Nur dass niemand auf sie herabsehen konnte.
    Bill hatte eine Stellung in einer Flaschenfabrik angenommen und verdiente zehn Dollar die Woche. Hazel arbeitete für acht Dollar als Hilfe in einem Schönheitssalon. Etta saß an der Kasse des Kinos und bekam dafür fünf Dollar. Alle drei gaben die Hälfte ihres Lohns zu Hause ab. Außerdem wohnten im Haus sechs Pensionsgäste, die je fünf Dollar die Woche brachten. Dazu kam Mister Singer, der seine Miete immer sehr pünktlich zahlte. Mit dem wenigen, was ihr Papa gelegentlich verdiente, kamen sie auf etwa zweihundert Dollar monatlich. Davon mussten die sechs Mieter ordentlich verköstigt, die Familie ernährt, die Miete für das Haus und die Raten für die Möbel gezahlt werden.
    Nun gab es für sie und George kein Frühstücksgeld mehr, und mit den Klavierstunden war es aus. Portia hob ihnen beiden die Reste vom Mittagessen auf, die sie nachmittags nach der Schule bekamen. Sie aßen jetzt immer in der Küche. Bill, Hazel und Etta aßen nur mit den Mietern, wenn genug Essen da war, sonst ebenfalls in der Küche. Das Frühstück in der Küche bestand aus Grütze, Rippenfleisch und Kaffee. Zum Abendessen gab es das Gleiche, dazu die Reste aus dem Esszimmer. Die drei Älteren meckerten jedes Mal, wenn sie in der Küche essen mussten. Mick und George wurden manchmal tagelang nicht satt.
    Das alles aber gehörte der äußeren Welt an. Mit der Musik, den fremden Ländern und mit ihren Plänen hatte das gar nichts zu tun.
    Es war ein kalter Winter. Die Fensterscheiben waren zugefroren. Abends knisterte im Wohnzimmer ein warmes Feuer, und die Familie saß mit allen Mietern um den Kamin, so dass sie das mittlere Schlafzimmer für sich allein hatte.
    Sie zog ein paar ausgewaschene Kordhosen von Bill an, dazu zwei Pullover übereinander. Vor lauter Aufregung spürte sie die Kälte gar nicht. Sie setzte sich auf den Boden, holte ihre Schachtel unter dem Bett hervor und begann zu arbeiten.
    In der großen Schachtel lagen die Bilder, die sie im Zeichenkurs gemalt und nun aus Bills Zimmer entfernt hatte. Außerdem enthielt die Schachtel drei Kriminalromane, die sie von ihrem Papa geerbt hatte, eine Puderdose, ein Kästchen mit allerlei Uhrenteilen, eine

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