Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
und Zwerg her – ich könnt euch hier aufs Pflaster schmeißen, dass sie euch mit der Müllschaufel zusammenkratzen müssen.«
Die beiden Männer warfen sich einen Blick zu und wollten weitergehen. Aber Jake ließ sie nicht vorbei. Mit höhnischer, wutverzerrter Miene ging er rückwärts vor ihnen her.
»Aber eins sag ich euch: In Zukunft kommt ihr gefälligst zu mir, wenn ihr an meiner Größe was auszusetzen habt, oder an meinem Gewicht, an meiner Aussprache, an meinem Benehmen, an meiner Weltsicht. Was das Letzte anbelangt, da versteh ich wirklich keinen Spaß – falls ihr das noch nicht wisst. Aber wenn ihr drüber diskutieren wollt – bitte schön!«
Von da an behandelte Jake die beiden Männer mit zorniger Verachtung. Hinter seinem Rücken machten sie sich lustig über ihn. Eines Nachmittags entdeckte er, dass das Triebwerk des Karussels absichtlich beschädigt worden war; die Reparatur kostete ihn drei Stunden. Ständig hatte er das Gefühl, die Leute lachten ihn aus. Sobald er die Mädchen miteinander schwatzen hörte, richtete er sich kerzengerade auf und lachte laut vor sich hin, als wäre ihm etwas Komisches eingefallen.
Ein warmer Südwestwind wehte vom Golf von Mexiko her, es duftete nach Frühling. Die Tage wurden länger, die Sonne brannte. Die Wärme lastete auf ihm. Er begann wieder zu trinken. Sobald er die Arbeit hinter sich hatte, ging er nach Hause und legte sich aufs Bett. Manchmal blieb er zwölf oder dreizehn Stunden so liegen, ohne sich auszuziehen. Noch vor wenigen Monaten hatte er vor lauter Unruhe geschluchzt und die Nägel abgebissen; das schien nun vorbei zu sein. Und doch – unter seiner Stumpfheit spürte Jake die alte Spannung. Von allen Städten, die er kannte, war diese die einsamste. Oder sie wäre es ohne Singer. Nur sie beide, er und Singer, hatten die Wahrheit begriffen. Er, der Wissende, konnte die Unwissenden nicht sehend machen. Das wäre gerade so, als wollte man versuchen, gegen die finstere Nacht anzukämpfen oder gegen die Hitze oder gegen einen Gestank in der Luft.
Mürrisch starrte er aus dem Fenster. An der Ecke stand ein verkümmerter, rauchgeschwärzter Baum, der giftig grüne Blätter getrieben hatte. Der Himmel strahlte unverändert in hartem, grellem Blau. Der stinkende Fluss, an dem dieser Stadtteil lag, schickte sirrende Mückenschwärme bis in sein Zimmer.
Er bekam die Krätze. Er mischte Schwefel und Schweinefett und rieb sich damit jeden Morgen ein. Er kratzte sich wund, aber nichts schien den Juckreiz vertreiben zu können. Eines Nachts, nachdem er vier Stunden allein dagesessen hatte, brach es plötzlich aus ihm heraus. Er hatte Gin und Whisky getrunken und war sehr betrunken. Es war schon gegen Morgen. Er beugte sich aus dem Fenster und blickte die dunkle, stille Straße entlang. Dann dachte er an all die Menschen in ihren Häusern. Diese Schläfer! Diese Unwissenden! Plötzlich brüllte er, so laut er konnte: »Hört zu – ich sag euch die Wahrheit! Ihr Hurensöhne wisst ja nichts. Nichts wisst ihr! Nichts, gar nichts!«
Die Straße erwachte, ärgerliche Stimmen wurden laut. Lichter gingen an, man hörte verschlafenes Fluchen. Die Mitbewohner im Haus rüttelten wütend an seiner Tür. An den Fenstern des Puffs gegenüber tauchten Mädchenköpfe auf.
»Ihr dämlichen dämlichen dämlichen dämlichen Hurensöhne. Ihr dämlichen dämlichen dämlichen dämlichen…«
»Halt’s Maul! Halt’s Maul!«
Die Leute im Hausflur hämmerten an seine Tür. »Du besoffener Trottel! Pass auf, was du für ’n dämliches Gesicht machst, wenn wir erst mal drin sind.«
»Wie viel seid ihr denn?«, röhrte Jake. Er zerschmetterte eine leere Flasche auf dem Fensterbrett. »Kommt bloß her, ihr. Kommt bloß her! Ich mach euch fertig, immer drei auf einmal.«
»Hast ganz recht, Süßer«, rief eine Hure.
Die Tür gab nach. Jake sprang aus dem Fenster und rannte durch eine Seitengasse davon. »Hee-haw! Hee-haw!«, grölte er trunken. Er war barfuß und trug kein Hemd. Eine Stunde später torkelte er in Singers Zimmer. Er legte sich der Länge nach auf den Fußboden und lachte sich in den Schlaf.
An einem Aprilmorgen stieß er auf die Leiche eines jungen Negers. Er war ermordet worden. Jake fand ihn in einem Graben, etwa dreißig Meter vom Rummelplatz entfernt. Man hatte ihm die Gurgel durchgeschnitten, und sein Kopf kippte weit nach hinten. Die Sonne brannte auf seine offenen, glasigen Augen nieder, ein Fliegenschwarm kreiste über dem geronnenen Blut auf
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