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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carson McCullers
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und er wäre ein harter Vater. Er hatte auch eine genaue Vorstellung davon, wie es im Haus aussehen sollte: kein Krimskrams – keine kitschigen Kalender, keine Spitzenkissen oder irgendein anderer Schnickschnack –, sein Haus war schlicht, dunkel – alles diente der Arbeit und dem einen wahren Ziel.
    Eines Abends stellte er fest, dass Daisy kleine Löcher für Ohrringe in Portias Ohren gestochen hatte. Ein anderes Mal entdeckte er auf dem Kaminsims eine Babypuppe mit einem Federröckchen. Daisy war sanftmütig, blieb aber unerbittlich und wollte sie nicht entfernen. Er wusste auch, dass Daisy ihre Kinder Demut lehrte. Sie erzählte ihnen von Himmel und Hölle. Sie überzeugte sie davon, dass es Geister gebe und verwunschene Orte. Daisy ging jeden Sonntag zur Kirche und beklagte sich beim Pfarrer über ihren eigenen Mann. Eigensinnig wie sie war, nahm sie die Kinder mit in die Kirche, und die lauschten aufmerksam.
    Da die ganze Rasse der Neger krank war, hatte er den ganzen Tag und manchmal auch die halbe Nacht zu tun. Am Ende eines langen Arbeitstages überkam ihn eine große Müdigkeit, die aber sofort verging, wenn er seine Haustür aufschloss. Im Haus aber blies William gerade auf einem in Toilettenpapier gewickelten Kamm, Hamilton und Karl Marx würfelten um ihr Taschengeld, und Portia alberte mit ihrer Mutter herum.
    Er begann noch mal von vorn, diesmal auf eine andere Art: Er ließ sich ihre Schulaufgaben zeigen und besprach sie mit ihnen. Sie drängten sich dicht aneinander und schauten ihre Mutter an. Er redete und redete, aber nicht einer von ihnen wollte ihn verstehen.
    Dann spürte er, wie es ihn überkam – dieses düstere, fürchterliche Negergefühl. Er setzte sich in sein Sprechzimmer, las und meditierte, um wieder ruhig zu werden und von vorn anfangen zu können. Er ließ die Jalousien herunter, um im hellen elektrischen Licht mit seinen Büchern und Meditationen allein zu sein. Aber manchmal wollte sich keine Ruhe einstellen. Er war jung, und das fürchterlicheGefühl ließ sich auch durch seine Studien nicht vertreiben.
    Hamilton, Karl Marx, William und Portia hatten Angst vor ihm und schauten ihre Mutter an, und wenn er ihre Blicke sah, überwältigte das düstere Gefühl ihn, und er wusste nicht mehr, was er tat.
    Er konnte all das Fürchterliche nicht unterdrücken und verstand sich selber nicht mehr.
    »Unser Essen riecht aber wirklich lecker«, sagte Portia. »Wir sollten jetzt wohl lieber anfangen, denn Highboy und Willie können jede Minute anmarschieren.«
    Doktor Copeland setzte die Brille auf und zog seinen Stuhl an den Tisch. »Wo verbringen denn dein Mann und William den Abend?«
    »Die spielen Hufeisenwerfen. Hinten im Hof bei Raymond Jones. Raymond und seine Schwester Love Jones, die spielen da jeden Abend. Love ist so ein hässliches Mädchen, da hab ich gar nichts dagegen, wenn Highboy und Willie in ihr Haus gehen, so oft sie wollen. Aber sie haben gesagt, sie wollen mich um dreiviertel zehn abholen, sie müssen jede Minute da sein.«
    »Ehe ich’s vergesse«, sagte Doktor Copeland, »du hörst wohl häufig von Hamilton und Karl Marx?«
    »Von Hamilton schon. Er macht die ganze Arbeit auf Großpapas Farm. Buddy ist ja in Mobile – und du weißt, er war nie groß im Briefeschreiben. Aber Buddy hat immer so eine liebe Art mit den Leuten, dass ich mir um ihn keine Sorge mache. Er ist so einer, der immer gut durchkommt.«
    Schweigend saßen sie am Tisch und aßen. Portia sah immer wieder nach der Uhr auf dem Küchenschrank: Highboy und Willie hätten jetzt da sein müssen. Doktor Copeland beugte sich über seinen Teller. Die Gabel schien zu schwer für seine Hand: Seine Finger zitterten. Er aß sehr wenig und würgte an jedem Bissen. Beide fühlten die Spannung und hätten sich lieber weiter unterhalten.
    Doktor Copeland fand keinen Anfang. Er hatte in all den Jahren so viel zu seinen Kindern gesprochen und war so wenig von ihnen verstanden worden, und nun gab es überhaupt nichts mehr zu sagen.
    Nach einer Weile wischte er sich den Mund mit dem Taschentuch und begann mit unsicherer Stimme: »Du hast fast nichts von dir erzählt. Wie steht es mit deiner Arbeit? Was hast du in letzter Zeit gemacht?«
    »Ich bin natürlich noch bei den Kellys«, sagte Portia. »Ich sag dir, Vater, ich weiß nicht, wie lang ich’s bei denen noch aushalte. Schwere Arbeit, und ich brauch immer so lang zum Fertigwerden. Aber eigentlich stört mich das nicht so. Die Bezahlung macht mir Sorge. Ich soll

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