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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Hunde« und riß die Folie von der Packung. »In einem Jahr bin ich fett.«
    Sie wollte sich gerade mit dem Rücken an die Tür zurückfallen lassen, als Giovannis Mutter öffnete. Lauras Schrei nach zu urteilen war die Klinke in ihrem Kreuz gelandet und dem Platsch- und Klirrgeräusch nach die Mutter mit Tee unterwegs gewesen.
    Laura half beim Aufwischen und Einsammeln der Scherben und ging dann mit der Mutter in die Küche, um neuen Tee zu machen. Giovanni hörte die beiden lachen und hätte gern gewußt, ob sie über ihn lachten. Er hätte nichts dagegen. Im Gegenteil. Es war ihm recht, wenn man über ihn lachte. Gelächter, auch auf seine Kosten, war die ihm derzeit liebste Art, im Leben anderer vorzukommen. Das Talent, im richtigen Moment einen Witz zu reißen, hatte ihm endlich einen guten Platz am Familientisch verschafft. Und oft gelang es ihm mit dieser Gabe, ausweglose Streitereien über Politik zwischen Brüdern und Vater in ruhigere Wasser zu lenken. Die empört-erleichterten Reaktionen der Streithähne hatten manchmal einen Zug von Dankbarkeit. Als hätte er sie vor etwas gerettet.
    War Laura nicht ein italienischer Name?
    »Spanisch«, sagte sie auf seine Frage, als sie mit dem Tee ins Zimmer kam. »Gibt es aber auch in Italien.«
    »Klingt dunkelhaarig.«
    »Vielleicht bin ich ja die einzige Blondine mit einem dunkelhaarigen Namen.«
    Sie sprach das Wort »Blondine« aus, als sei das etwas Sexuelles. Auch »dunkelhaarig« klang aus ihrem Mund wie »Schamhaar«. Er stellte sich ihre Scham vor, und ihm fiel zum ersten Mal die wesentlich dunklere Tönung ihrer Augenbrauen auf. War sie da unten so hellblond wie auf dem Kopf oder so dunkelblond wie im Gesicht?
    Ihre unbekümmerte Art, mit Sex um sich zu werfen, ohne sich anscheinend sonderlich dafür zu interessieren, haute Giovanni um. Zwar behandelte sie sein Hauptthema wie eine Nebensache, aber doch so ausführlich, daß er keineswegs zu kurz kam. Und sie besuchte ihn, als sei das die normalste Sache der Welt, schon zum dritten Mal.
    Ab morgen würde sie ihn mit ihrem Vater abholen und zur Schule fahren. »Bis der Gips abkommt«, sagte sie.
    Das Blaupunkt-Radio gab die Landtagswahlergebnisse bekannt. Der Vater freute sich über vierzehn Prozent für die FDP, Arno und Norbert entsetzten sich über neun Komma acht für die NPD. Giovanni interessierte sich für nichts, was im Radio passierte, außer Musik. Die Mutter sagte: »Jetzt hört doch mit eurer ewigen Politik auf.« Der Vater sagte: »Wenigstens haben eure Kommunisten keinen Stich gemacht«, und konnte sich in der Folge seinen mittlerweile hundertprozentigen Autoritätsverlust vor Augen führen lassen. »Eure Kommunisten« war insofern eine Aussage mit Zündstoff gewesen, als Norbert der ML angehörte und Arno Flugblätter für die GIM verteilte. Die Mitglieder dieser beiden Gruppen kannten einander aber nur unter Bezeichnungen wie »Revisionist«, »Revanchist« oder »Arschloch«. Keinesfalls war für die jeweils anderen der Begriff »Kommunist« vorgesehen. Insofern war die Bemerkung des Vaters ein geschickter Schachzug, denn die beiden führten jetzt lautstark und in schönstem Traktatskauderwelsch exemplarisch die Spaltung der Linken vor. Das war den Autoritätsverlust wert.
    »Lauras Vater ist Professor für Kunstgeschichte«, sagte die Mutter, die das für eine gute Nachricht hielt.
    »Ach«, sagte der Vater, »und wer ist Laura?«
    Bevor die Mutter noch »Pauls Freundin« hätte sagen können, gaben Arno und Norbert ihre Meinung dazu.
    »Ist ja dufte«, sagte Norbert und »Kann er sich den Arsch mit wischen« Arno.
    Giovanni fiel Bos Vater ein. Der würde jetzt sicher betrunken und im Siegestaumel vor dem Fernseher sitzen und auf Adolf von Thadden anstoßen. Und er dachte auch an Bo.
    Nach dem ersten Schrecken über dessen Versuch, sich Laura zu nähern, war Giovanni der Gedanke gekommen, Bo könne nicht anders, und er, Giovanni, müsse ihn einfach bitten, sie in Ruhe zu lassen. Bo würde das tun. Er mußte Gewissensbisse haben, sonst wäre er nicht weggeblieben. Gewissensbisse würden später einmal »Ein Moralischer« heißen.

 
FÜNF
    Paris war vorübergehend nicht mehr die Hauptstadt der Liebe. Wer war Beate Klarsfeld?Dieselben Frauen, die einst Erich Mende zum attraktivsten Mann erklärt hatten, wandten sich jetzt von Kurt- Georg Kiesinger ab und Alexander Dubdek zu. Die Notstandsgesetze erzeugten genau den Notstand, zu dessen Kontrolle sie erfunden wurden.
     
    Bo war von der Schule

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