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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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schon enttäuscht sein, denn so schlecht war sein Gedicht doch auch wieder nicht, da sagte Paul noch: »Aber raffiniert ist es, außer den Reimen find ich’s toll. Du solltest mehr davon schreiben.«
    Giovanni kaufte ein Reimlexikon.
    Ilse stellte wieder auf dem Weihnachtsmarkt aus. Diesmal hatte er Standgebühr bezahlt und einen langen Tapeziertisch mit achtzehn seiner rätselhaften Skulpturen bestückt. Die Bezeichnung »rätselhaft« stammte von Giovanni, der sich damit vor einer herberen Stellungnahme gedrückt hatte.
    »Soll ich dir verkaufen helfen?« hatte Bo gefragt.
    »Bitte nicht«, lautete Ilses Antwort.
    Und von Verkaufen konnte auch nicht die Rede sein, obwohl die Preise, wie Ilse sagte, zivil waren.
     
    Laura, Bo und Giovanni bekamen jeder eine Skulptur zu Weihnachten geschenkt, die restlichen beerdigte Ilse in einer feierlichen Zeremonie mit Plattenspieler, Zaubermantel und Joint. »Ihr seid Frühgeburten, ihr schafft es nicht durchs Leben«, rief er seinen Werken in das Loch, das er für sie gegraben hatte, hinterher.
     
    Die Veröffentlichung des Gedichts hatte den Redakteur der Schülerzeitung >Cumulus< auf Giovanni aufmerksam gemacht.
    Der Redakteur war eine Klasse unter ihm und bat ihn mitzuarbeiten. Giovanni, der sich wegen der schwachen Reime genierte, war die Ehrerbietung, die ihm der Jüngere entgegenbrachte, unangenehm. Aber er versprach, eine Aufführung, in der Bo spielte, zu besprechen.
    Ein tückisch imposanter König starb spuckend und Giftpfeile schleudernd am Mittwoch in der Aula des Kepler-Gymnasiums, schrieb Giovanni. Talentiert und fast routiniert spielte der siebzehnjährige Bo Pletsky seine Mitschüler und vor allem die Regie an die Wand ... Den Tonfall hatte er von der Kulturseite der Tageszeitung abgeschaut. Bo war begeistert, und sein stolzer Vater schenkte Giovanni eine Flasche Napoleon-Cognac.

 
VIERZEHN
    In Erfurt riefen die Bürger »Willy, Willy« und meinten nicht Willy Stoph damit. Die Namen Baader und Meinhof hatten einen ganz ähnlichen Klang wie Starsky und Hutch. Oder Robin und Hood. Oder Sacco und Vanzetti, Bonnie und Clyde, Sjöwall und Wahlöö oder Sartre und Beauvoir.
     
    Kostenlos Filme im Museum anzusehen war nicht mehr möglich, seit Ilse dort mit einem Mädchen »Decamerone« von Pasolini synchron nachgespielt hatte. Plötzlich fanden sie sich, vom Hausmeister gepackt und unter Beschimpfungen nach draußen geschubst, auf der Straße wieder, wo sie nur kurze Zeit warten mußten, bis ihre restlichen Kleider hinterhergeflogen kamen. Seither war die Tür mit Klingel und Sprechanlage versehen und ging nur noch von innen auf. Das war Ilses Beitrag zur Steigerung der Lebenshaltungskosten. - Für Giovanni war es kein großer Verlust, denn Laura war ohnehin nie mitgekommen. »Man klaut nicht ohne Not«, hatte sie gesagt, und Giovanni hatte sie nie mehr gefragt.
    Bo spielte inzwischen als Statist beim Theater mit. Seine Gesten wurden größer und seine Vokale majestätisch. Und er spuckte immer mehr beim Sprechen. Das alles machte er den Schauspielern nach, die er aus der Kulisse studierte. Der Nimbus des Theaters verschaffte ihm Zutritt zu den besseren Kreisen. Er ging in einen Tanzkurs und hatte plötzlich nur noch Freundinnen, deren Väter entweder reich, respektabel oder beides zugleich waren.
    Zweimal wurde Giovanni von ihm zu Parties in große, dunkle Häuser mit Gärten voller Bäume am Hang geschleppt, fühlte sich aber dort so unwohl, daß er bald wieder ging. Es lag nicht an den Häusern. Die Häuser waren schön. Die Teppiche und Bilder, Pools und Bibliotheken, die Höflichkeit der Eltern und ein leichter, fröhlicher Umgangston gefielen Giovanni sehr. Was ihm nicht gefiel, war Bos unterwürfiges Gedienere, mit dem er ein Klassenbewußtsein demonstrierte, das hier weder angebracht noch seiner würdig war. Giovanni genierte sich für Bo.
    Einmal küßte Bo Lauras Hand, und sie sagte: »Ach schau mal, eine Leiche auf Urlaub.«
    Bo aber schien so stolz auf diese Bekanntschaften, seine neuen Manieren und diese große, verheißungsvolle Welt, daß Giovanni nicht den Mut fand, ihm zu sagen, er mache sich zu klein. So hielt er sich einfach entfernt oder schaute beiseite, wenn höhere Töchter im Spiel waren.
    Vielleicht am meisten daran störte ihn, daß Laura auch eine höhere Tochter war. Noch war ihm das Glänzen in den Augen seiner Mutter in Erinnerung, als sie sagte »Lauras Vater ist Professor«, und Bos krumme Haltung in Aix-en-Provence. Das

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