Das Herz ist eine miese Gegend
Vater, der auf dem Sprung zu seiner Freundin war. Ja, Du hast richtig gelesen, er hat eine Freundin. Sie ist grade vier Jahre älter als ich, und ich fürchte, ich kann sie nicht leiden. Das hat insofern was mit der Geschichte zu tun, als ich auf einmal sehr traurig wurde und mich allein fühlte und Deinen Spinnerfreund Bo einlud, hier zu schlafen. Ich hatte auch Angst, es könnte mir noch mal so schlecht werden wie vorher. Kurz und gut, irgendwann in der Nacht wachte ich auf und war mittendrin mit ihm. Keine Ahnung, wie es dazu kam. Ich dachte an Dich und dachte, du tust ihm weh, das ist es nicht wert, du hast es nicht einmal gewollt, läßt es nur passieren. Aber dann dachte ich auch, Bo liebt Giovanni, Giovanni liebt Bo, Giovanni liebt Laura, und Laura macht’s gerade mit Bo, ist das denn so schlimm? Und vor lauter Denken war es auch schon vorbei. Ich habe sozusagen nichts davon mitgekriegt.
Liebster Giovanni, ich weiß, das tut Dir weh. Daß ich das alles aber hinschreibe, liegt daran, daß ich glaube, echte Bilder gehen weg, sie sind überwindbar, Du kannst Dich davon erholen. Gegen Bilder, die Du Dir selber machst, habe ich niemals eine Chance. Soviel ich weiß, schämt sich Bo vor Dir, ich jedenfalls schäme mich, denn das Ganze war nicht wert, Dir weh zu tun. Bitte verzeih mir, sobald Du kannst.
Die Schrift wackelte vor Giovannis Augen, weil Fred- die sein Köpfchen an den Blättern rieb. Er schmuste mit dem Brief.
Zuerst taten die genaueren Bilder, die er jetzt vor Augen hatte, mehr weh, denn sie boten weniger Fluchtwege und Änderungsmöglichkeiten als die selbstgemachten. Bo turnt auf Laura herum, während sie langsam erwacht. Eine Wut auf Bos Kleinlichkeit, diesen Geiz, mit dem er sich stahl, was er nicht freiwillig bekam, stieg Giovanni in die Kehle und ließ ihn die Faust so heftig gegen die Wand schlagen, daß Freddie erschrocken aus dem Zimmer flitzte.
Aber gleichzeitig lagen in den Sätzen »Ich liebe Dich« und »Verzeih mir, sobald Du kannst« ein Glück, ein Trost und eine Sicherheit, die so etwas wie ein Ausatmen, ein Lösen von Giovannis innerer Verknotung bewirkten. Zuerst hatte er den humorigen Ton ihres Briefes als Spott gelesen, aber je weiter er kam, desto mehr erwuchs aus diesem Tonfall das Gefühl >Laura ist treu, Laura liebt mich, Laura will mich und nicht Bo<.
»Bo Pletsky ist ein Arschloch !« schrie er laut und fügte leiser hinzu: »Aber das ist nicht neu.«
»•WOs sagst du?« kam die Stimme seiner Mutter von oben, und er antwortete: »Ich will noch Kaffee, wenn’s noch welchen gibt. Aber laß, ich hol ihn selber.«
Einen Tag später ging das Fieber zurück, und Giovanni nahm Block und Kugelschreiber mit ins Bett. Er wollte die Geschichte aus Bos Perspektive aufschreiben. Daß das ein Fehler war, merkte er schon nach den ersten Sätzen, denn die relative Ordnung in den Bildern wich sofort wieder einer Reihe von Möglichkeiten. Wie hatte
Bo sich angeschlichen, wo hatte er geschlafen, hatte er die Decke von Lauras Körper gezogen, hatte er ihr Nachthemd oder was auch immer sie getragen haben mochte, hoch- oder heruntergezogen, hatte er ihre Brüste geküßt, hatte er den Geruch an ihrem Hals, in ihren Achseln und ihrem Schoß gerochen, hatte er ihre Beine auseinandergeschoben, hatte sie sich schon im Schlaf, erst wach oder gar nicht seinen Stößen angepaßt, hatte sie gestöhnt, sich gewehrt oder an ihn geschmiegt, hatte er sich gewaschen oder mit den Resten irgendeiner Evi Lauras heilige Haut berührt?
Giovanni zerknüllte die Seite. Am liebsten hätte er sich den Kopf abgeschnitten.
Am Abend versuchte er es wieder und schrieb vier Seiten voll. Er wählte aus den vielen Möglichkeiten wenige aus, schrieb die Geschichte einer gestohlenen Gnade, die Geschichte eines jungen Mannes, der das Aufblitzen echter Liebe nach einer langen Reihe von Bettbekanntschaften spürt, der mit diesem Aufblitzen nichts anfangen kann und den die erwiesene Gnade so beschämt, daß er die Liebe zerschlagen glaubt. Ist sicher Kitsch, dachte Giovanni, aber tut mir gut.
Es tat ihm wirklich gut. Ob er die Bilder nur nacherzählt hatte oder sich fortan einbilden konnte, er habe sie selbst erschaffen, auf irgendeine Weise schienen sie jetzt sortiert, folgerichtig und erträglicher als vorher.
Die Dinge ändern sich durch einfaches Beschreiben, dachte er, sie gehen über in mein Eigentum. Und irgend etwas daran war aufregend selbstverständlich.
Bo Pletsky ist ein Arschloch, dachte er vor dem
Weitere Kostenlose Bücher