Das Herz meines Feindes
in der Zwischenzeit deine Pflichten vernac h lässi gen?«
Bei dieser leisen Bemerkung Corbetts fuhr Lillianes Kopf ruckartig in die Höhe. Er stand im Türrahmen, fast, als ob er zögerte einzutreten. Ein Teil Lillianes, etwas tief in ihrer See le, freute sich unbändig, ihn zu sehen. Er hatte nach ihr gesucht, und sie empfand deshalb Befried i gung. Aber sie ermahnte sich selbst, nicht zu viel hineinzudeuten.
»Dadurch, dass ich dieses eine Mal abwesend bin, wird das Schloss schon nicht vernachlässigt werden. Magda wird dafür sorgen, dass nichts schief geht.«
»Magda kann nicht bei mir sitzen.«
Lilliane warf ihm einen misstrauischen Blick zu und versuchte, die Bedeutung seiner merkwürdigen Worte zu erfas sen. Dann zog sie die Augenbrauen nach oben. »Wenn du befürchtest, dass man über unsere… Auseinandersetzung im Schlosshof klatschen wird, nun, ich kann dir versichern, dass ich mit Klatsch sehr vertraut bin. Glaube mir, wenn ich dir sage, dass du es überleben wirst.«
Zu ihrer Überraschung reagierte er nicht zornig auf den Sarkasmus ihrer Worte. Statt dessen machte er einen weite ren Schritt ins Zimmer und schloss die Tür zu dem zugigen Gang. Als er immer noch schwieg, sah sie ihn neugierig an. Sie fühlte sich unfähig, seine seltsame Stimmung zu verste hen. Schließlich kam er näher und blieb vor ihr stehen, breitbeinig, die Hände hinter dem Rücken. »Ist das eine neue Me thode, um mich zu verärgern?«
Lilliane wusste, dass er auf ihre Abwesenheit vom Abendbrottisch anspielte, aber es bereitete ihr eine aberwitzige Be friedigung, die Unschuldige zu spielen.
»Wie selbstsüchtig bist du doch, diesem kleinen, mutterlo sen Kind noch nicht einmal ein paar Minuten meiner Zeit zu gönnen«, antwortete sie mit verletzter Stimme.
»Verdammt sollst du sein, Weib! Das habe ich nicht gemeint.« Er warf ihr einen anklagenden Blick zu. »Und das weißt du auch.«
Ein Lachen bahnte sich seinen Weg durch ihre Kehle, und sie konnte ihr Gesicht nur noch in Elyses runzeligem Gesicht vergraben, um es vor ihm zu verbergen. Sie wusste, dass sie heute Abend ein paar zusätzliche Gebete würde sprechen müssen, um für das boshafte Vergnügen zu süh nen, das sie dabei empfand, ihn so zu quälen. Aber er hatte es nicht anders verdient, rief sie sich ins Gedächtnis, als sie sich daran erinnerte, wie schnell er ihrem Ritt ein Ende be reitet hatte.
»Nun, wenn es nicht die Zeit ist, die ich bei Elyse verbrin ge, was verärgert dich dann?« fragte sie.
Corbetts Blick wurde noch finsterer. »Wie lange wirst du dich von den abendlichen Zusammenkünften fernhalten?«
»Es war nicht meine Absicht, dich durch meine Abwesen heit zu verärgern«, antwortete Lilliane schließlich etwas sachlicher. »Nur heute…« Sie hielt inne, als sie daran dach te, wie unvernünftig sie heute gewesen war.
»Nur heute wolltest du mich ärgern«, beendete er ihren Satz knapp.
Sein Einwand brachte das Fass zum Überlaufen. Sie stand schnell auf und legte das Baby wieder in seine hölzerne Wie ge. Nachdem sie es fest in seine weiche Wolldecke einge wickelt hatte, wandte sie sich langsam um und sah Corbett in die Augen. Sie raste vor Zorn über seine selbstsüchtige Haltung.
»Heute«, begann sie heftig, »heute konnte ich diese Farce, die wir als Ehe bezeichnen, einfach nicht eine Minute länger ertragen.« Sie lächelte bitter, als sich seine Augenbrauen er staunt hoben.
»Dieses Schloss hat eine lange Geschichte des Kampfes. Aber ich habe das noch nie so deutlich empfunden wie jetzt. Noch nicht einmal zu jener Zeit, da unsere beiden Familien miteinander Krieg führten! Und das alles ist deine Schuld!«
»Meine Schuld!« explodierte er. »Meine Schuld? Vom er sten Augenblick, da ich dich sah, warst du nichts als ein Är gernis!«
»Dann geh fort!«
Stille folgte ihrem schrillen Schrei, und sie starrten einan der an. Er sah wütend aus, sein Gesicht war düster. Aber schon bald war sie blind vor Tränen, die ihr unwillkürlich in die Augen traten. Beschämt wandte sie sich ab. Wie sehr sie sich wünschte, ihre übereilten Worte zurücknehmen zu können. Aber was einmal ausgesprochen war, konnte man nicht mehr rückgängig machen. Sie war sich nicht einmal darüber im klaren, was sie statt dessen hätte sagen sollen.
»So schnell wirst du mich nicht los, Lilliane. Egal, wie sehr du dir wünschst, dass ich verschwinde.«
Sie hatte einen Kloß in der Kehle und rang die Hände. »Ich… das habe ich nicht gemeint«, gestand sie
Weitere Kostenlose Bücher