Das Herz Von Elowia
Kleidung. Ein durchdringendes Summen, was einem verzweifelten Heulen glich, erfüllte die Luft. Der Wind umschmeichelte Leondrons Federn und wäre da nicht jenes unheilvolle Klagen gewesen, was der Wind mit sich brachte, er hätte die kühle Prise der Nacht genossen. So aber waren seine Sinne angespannt und er lauschte konzentriert, woher dieser Misston kam. Sein Atem stockte ihm, als ihm klar wurde, woher das schrille Summen kam. Der Ton kam aus der Richtung des Spiegels. Sein Puls raste, als er mit weit ausgreifenden Schritten durch die dunklen Gänge zum Spiegel hastete. Er eilte an den silbernen Himmelschwänen vorbei. Die Schwäne gurgelten in tiefen, anklagenden Tönen. Sie bogen ihre Körper und schlugen mit ihren Flügeln um sich, als hätten sie entsetzliche Schmerzen. Ihr Gefieder verfärbte sich an einigen Stellen schwarz. Leondron wich entsetzt zurück und eilte kopflos die gläsernen Stufen hinauf, vorbei an dem goldenen Springbrunnen und dem filigranen Blumengarten. Selbst hier konnte Leondron erkennen, wie sich eine undurchdringliche Schwärze ausbreitete.
Er rannte nun so schnell er konnte. Endlich kam er in der Halle an, wo der Spiegel auf einer kleinen Empore stand. Das Summen war zu einem aufdringlichen Kreischen geworden und er musste die Hände auf seine Ohren pressen, um nicht von dem Geräusch in die Knie gezwungen zu werden.
Als er den Spiegel sah, wurde ihm schlecht. Er brüllte auf und sank anschließend in die Knie.
Er fühlte einen stummen Schmerz, der ihm alle seine Berechtigung nahm, ein Wächter zu sein. Der Spiegel hatte seinen Glanz verloren. Überall zeichneten sich tiefe Risse ab und einzelne Splitter lösten sich und fielen klirrend auf den weißen Marmorboden.
Leondron öffnete seinen Mund zu einem stummen Schrei, denn keine einzige Silbe hätte dem entsprochen, was er fühlte. Der Spiegel starb und er als sein Wächter und Beschützer hatte versagt. Er hatte ihn nicht vor dem Unglück bewahren können.
»Leondron«, seufzte eine schwache Stimme. »Komm zu mir.«
Leondron rappelte sich wie betäubt auf, die Schmerzensschreie des Spiegels hallten in seinen Ohren wider und er taumelte zu ihm.
Zögerlich streckte er seine Hand aus und berührte die Glasfläche, die nur noch aus grauem Schlamm bestand. Seine Handfläche traf auf die Oberfläche und zu seinem Geist drangen grausige Bilder vor. Sie waren schwach, verzerrt und rissen immer wieder ab, aber es genügten ein paar verschwommene Visionen, um Leondrons Leben endgültig in Stücke zu zerreißen. Was er dort sah, ließ ihn innerlich zugrunde gehen: Seine eigene Tochter war es, die den Spiegel vergiftet hatte.
Obwohl die Bilder nur ein undeutliches Rauschen waren, konnte er seine Tochter klar erkennen. Sie hob sich unter all den Visionen, die auf ihn einströmten, scharf ab. Zu deutlich konnte er sehen, wie sie sich flüchtig umblickte, bevor sie ein Flakon unter ihrem Gewand herausholte, den Korken entfernte und die Flüssigkeit auf den Spiegel tropfen ließ. Dabei baute sie sich mit erhobenem Haupt vor dem Spiegel auf und fragte ihn mit hasserfüllter Stimme: »Wie konntest du es nur wagen, mich abzuweisen? Mich, die dazu geboren wurde, dir als Wächterin zu dienen?«
Sie kicherte diabolisch auf, als die ersten grauen Flecken die klare Spiegelfläche entstellten und sich immer weiter ausbreiteten, bis von dem einstigen Glanz der silbernen Oberfläche kaum noch etwas übrigblieb.
Leondron war kreidebleich geworden. Wie in Trance zog er seine Hand vom Spiegel zurück. Ihm war kalt, eiskalt und eine tiefe Verzweiflung ergriff ihn. Er wusste, welche grausame Strafe auf Verrat stand und da er der Spiegelwächter war, war es seine Aufgabe sie durchzuführen. Er konnte sich kaum noch aufrecht halten, die Luft zum Atmen wurde ihm knapp und die herabfallenden Splitter des Spiegels folterten seinen Geist.
Klirr, klirr, klirr, schlugen die Teile des Spiegels auf den Boden und zerschellten zu feinem, glitzernden Staub. Vor seinen Augen zerfiel seine Aufgabe.
Betäubt und benommen drehte er sich um und verließ die Halle des Spiegels. Wie konnte ein so kurzer Augenblick sein ganzes Leben zerstören und alles vernichten, woran er geglaubt hatte?
Er schritt langsam durch die Gänge des Tempels, dessen weißer Marmorstein sich aschgrau verfärbt hatte. Die Schwäne lagen tot im See und trieben mit aufgerissenen Augen und schwarzem Gefieder im See. Aus dem goldenen Brunnen sprudelte schwarzes Wasser und die Blumen trugen schwarze Blüten. Alles
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