Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)
rein?«
»Habe ich noch nicht entschieden.«
»Ich dachte, du hättest eine Idee«, sagte Wilson. »Irgendeinen schlauen Trick.«
»Hab ich auch. Einen brillanten Trick«, gab ich zurück. Ich zog meine Jacke um den Hals enger und bewegte mich widerwillig näher zur Mauer gegenüber Wilson. »Aber der ist dafür da, hinauszugelangen.«
Eine Weile marschierten wir schweigend weiter. Ich hatte die Munitionsschachtel, die Valentine mir gegeben hatte, an meinem Bauch verstaut. Ich hoffte, das Pulver würde bei diesem Regenguss nicht nass werden. Da mich Sloanes Mannschaft erwartete, war ich zwar nicht wirklich sicher, ob ich die Munition brauchen würde, aber falls doch, sollte sie besser funktionieren.
»Äh, also, wie kommen wir jetzt rein?«
»Überleg du dir etwas. Mir ist es egal. Wir gehen zur Tür und klopfen. Sie erwarten uns, Wilson. Es wird uns nicht gelingen, uns reinzuschleichen.«
»Was um alles in der Welt machen wir dann hier, Jacob? Ich habe nicht vor, da reinzugehen und erschossen zu werden.« Er packte mich hinten an der Jacke und wirbelte mich herum. »Ich bin nicht damit zufrieden, ein paar Ordnungshüter abzuknallen, Jacob. Ich beabsichtige, diese Angelegenheit lebend zu überstehen.«
Eine Weile starrte ich ihn an. Wurden wir in diesem Augenblick beobachtet? Es erschien mir nur logisch zu sein. Wenn man die Straßen geräumt, die Geschäfte geleert und die Kadetten in ihre Kasernen gescheucht hatte, wenn man sich so viel Mühe gegeben hatte, warum sollte man dann nicht auch Späher entlang der Zugangswege postieren? Ich hätte das getan. Also ja, vermutlich wurden wir gerade beobachtet.
»Du hast offenbar eine zu hohe Meinung von mir, Wilson. So ein edler Ritter bin ich nicht.« Ich riss meine Jacke los und setzte den Weg die Straße entlang fort. »Wir werden das beide überleben.«
Etwa ein Dutzend Schritte lang hörte ich ihn nicht, dann watete er durch das Hochwasser, um zu mir aufzuschließen.
»Ich brauche etwas mehr als Optimismus«, zischte der Anansi mit dem Gesicht dicht an meinem Ohr. »Ich muss wissen, was du vorhast.«
»Glaubst du, dass sie uns beobachten, Wilson? Denkst du, dass sie nach uns Ausschau halten lassen?«
Er hielt inne und fiel erneut zurück. Als er wieder zu mir aufschloss, lief er geduckt und hatte eines der von den Ordnungshütern erbeuteten Kurzgewehre in der Hand.
»Ich nämlich denke, dass sie uns beobachten«, erklärte ich, als er sich wieder hinter mir befand. »Deshalb habe ich es dir noch nicht gesagt.«
Wir näherten uns dem Stützpunkt. Dessen Masse zeichnete sich gegen den Himmel ab und verhüllte kurz das Unwetter. Wind peitschte um die Steinmauern. Drinnen brannten Lichter, die sich wie grelle Augen in der Nacht ausnahmen. Es gab einige Wachhäuser und eine Brücke, die im Zickzack vom Hauptweg abzweigte. Jede Biegung verlief durch das Tor eines Wachturms.
Ich hievte mich auf die Brüstung der ersten Brücke. Sie bestand aus Eisen und Stein, beides durch den Regen rutschig. Wilson folgte mir nervös. Ich schwang ein Bein über den Rand, dann steckte ich die Munition in verschiedene Taschen meiner Jacke. Schließlich schlang ich mir die Flinte über eine Schulter und wandte mich Wilson zu.
»Bleib dicht bei mir.«
Ich rückte weiter hinaus auf das Gebilde der Brücke, achtete darauf, mich ständig an drei Stellen zu sichern. Die Verstrebungen erstreckten sich durch die Luft, verliefen zu den Türmen und zu den beiden anderen Brücken dahinter.
»Das ist der Plan? Wir klettern hinein?«
»Sie bewachen jede Tür, Wilson«, stieß ich grunzend hervor und kroch ein Stück weiter. »Jedes Fenster. Bleib einfach dicht bei mir.«
Natürlich hatte er keine Mühe, mit mir Schritt zu halten. Einige seiner Spinnenarme schwebten schützend hinter meinem Rücken, ein weiterer über meinem Kopf. Auf halbem Weg wurden die Böen stärker, und das Unwetter traf uns mit voller Wucht. Wir hatten den Windschatten der Akademie verlassen. Fluchend klammerte ich mich fest. Das Eisen war verdammt rutschig. Unter uns zeichnete sich die Dunje als nebliger Fleck ab. Die winzigen Lichter von Booten zwinkerten zu uns empor wie reflektierte Sterne. Ich hielt inne, um meinen Halt zu festigen.
»Jacob, ich bin nicht sicher, ob …«, setzte Wilson an, dann stürzte ich ab.
Mein vorderer Fuß rutschte vom Metall ab, und ich trat in leeren Raum. Wilsons Arme schlangen sich zu schnell um mich. Ich verlor das Gleichgewicht und schlug gegen die Brückenkonstruktion.
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