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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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mit Hilfe des Stabs wieder auf. »Die Stunde naht. Sie ist schon fast da. Die Stunde, da die Welt, die wir kennen, endet.«
    »Aber ... heißt das, es ist zu spät?«
    »Es ist zu spät, das Alte wiederherzustellen«, sagte Lisiya. »Es ist zu spät für die Welt, die war. Was für eine Welt jetzt kommt — das kannst du vielleicht noch beeinflussen.«
    »Beeinflussen? Wie denn?«
    »Dir das zu sagen, steht mir nicht zu. Aber du hast nur noch wenig Zeit.«
    »Meint Ihr die Nacht des Mittsommertags? Mein Vater hat gesagt ...«
    »Die Menschen nennen es Mittsommer, aber hier in den Gefilden der Götter und ihrer Träume markiert es den Moment, da das Sterben der Sonne beginnt. Und jedes Jahr seit Anbeginn der Zeit, seit Rud der Tagstern erstmals das Firmament erklomm, tobt der Kampf. Die Sterblichen feiern Mittsommer, als wäre es ein Sieg, aber es war immer schon das Gegenteil — der Augenblick, da die Sonne, da das Licht selbst den Kampf verliert. Es ist ein Tag, der unter schlechten Vorzeichen steht.« Sie schüttelte den Kopf
    »Aber was können wir tun? Dieser Tag ist doch fast schon da!«
    Jetzt zeigte sich die Verzweiflung auf Lisiyas Gesicht. »Ich weiß es nicht! Ich bin letztlich nur ein kleines Licht — eine Dienerin, eine Botengängerin —, und hier bin ich überfordert. Aber ich habe dich gerufen, oder du hast mich gerufen, also muss da etwas sein, das ich dir geben kann, irgendetwas ...« Die alte Frau schloss die Augen, und Briony war sich unsicher, was da passierte: Lisiya schien so müde, dass sie kaum atmen konnte; sie schwankte wie ein langer Grashalm. Endlich öffnete sie die Augen wieder.
    »Omphalos«,
sagte die Halbgöttin mit schwacher Stimme. »Such den Omphalos, das, was die Vergangenheit mit dem Mutterleib und den Mutterleib mit der Zukunft verbindet — das, was das Zentrum des kreisenden Universums ist.«
    »Was heißt das?«
    Lisiya machte eine unwirsche Bewegung mit der Klauenhand. »Ich habe dir gesagt, was ich dir sagen kann?«, fauchte sie ärgerlich. »Meine Worte haben auch so schon Aufmerksamkeit auf sich gezogen.«
    »Aber ich verstehe nicht ...I.«
    »Du musst, weil ich sonst nichts ...« Sie verstummte jäh, als rotes Licht über den Himmel flackerte, wie Blut vor dem grauen Rauch. »Geh«, sagte Lisiya. »Mehr kann ich nicht tun. Leb wohl, Briony Eddon. Wenn du überlebst, bau mir einen Altar.«
    Briony wollte noch etwas fragen, aber Donner erschütterte die verbrannten Bäume und ließ die versengte Erde erbeben, und das rote Licht schien sich mit jedem Augenblick auszuweiten.
    Feuer,
begriff Briony.
Das Feuer kommt zurück ...!
    Und dann explodierte der Himmel zu gleißendem Blutrot, so grell und heiß, dass Briony entsetzt aufschrie und keuchend in ihrem Zelt im syanesischen Lager erwachte, die Faust fest an die Brust gepresst. Als sie die Hand öffnete, war das Amulett schwarz und verschrumpelt.

    Barrick sagte kein Wort auf dem Weg zu Saqris Zelt. Hunderte von Augenpaaren beobachteten, wie er die große Höhlenkammer durchquerte, und alle mussten den blutroten Stein sehen, der von seiner Hand baumelte. Mit Sterblichen vertrautere Wesen hätten vermutlich den Ausdruck von Überraschung und wachsender Verwunderung auf seinem Gesicht erkannt.
    Sie hat es mir gegeben,
dachte er staunend.
Ich habe der ältesten und stärksten Frau der Welt gesagt, dass sie unrecht hat, und daraufhin hat sie die Führung des Qar-Heers abgegeben.
    Aber war es wirklich so simpel? Irgendetwas an dem Wortwechsel irritierte ihn immer noch, wenn er auch im Moment zu verblüfft war, um groß darüber nachzudenken.
    Die Wachen vor Saqris Zelt machten keinen Versuch, ihn aufzuhalten. Saqri, die gerade im lautlosen Gespräch mit zwei ihm unbekannten Qar-Kreaturen war, blickte auf. Ihre Augen weiteten sich um eine Winzigkeit, als sie sah, was er da in der Hand hielt.
    »Ich habe sie gefühlt, aber ich wusste nicht, was ich da fühle«, sagte sie nur. »Ist das für mich oder für dich?«
    Barrick lachte. Es war ihm gar nicht in den Sinn gekommen, das Kriegssiegel selbst zu behalten. Dafür verstand er nicht genug — würde er vielleicht
nie
genug verstehen. »Für Euch. Und dann müsst Ihr entscheiden, was Euer Volk tun soll.«
    »Wir werden natürlich kämpfen«, sagte sie, ergriff die Kette mit schlanken Fingern und bettete den Stein in die andere Hand. »Krummling war der früheste Großvater meines Großvaters, wie wir sagen — der Vater der Feuerblume. Wir können nicht zulassen, dass ihn dieser

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