Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
Oberster Minister Vash. Wir werden wohl menschliche Wärter an ihrer Stelle einsetzen müssen.« Es hörte sich nicht so an, als berührte es ihn sonderlich.
    Den Kreaturen ging es offensichtlich schlecht: Sie versuchten unbeholfen, die winzigen Augen mit den ledrigen Händen vor der Sonne zu schützen, blieben verwirrt und wankend mitten auf der Rampe stehen und plierten aus den Tiefen ihres Panzers hervor. Sobald sie jedoch langsamer wurden, waren schon die Wärter da und stießen spitze Eisenruten in die Fugen zwischen den Panzergliedern.
    »Schrecklich...«, sagte Olin leise.
    »Ah, Ihr verspürt den Ruf des Blutes.« Der Autarch nickte weise.
    »Wovon sprecht Ihr?«
    »Alle Yisti sind Qar. In Euren Adern fließt doch auch Qar-Blut. Also sind diese armen Monster Eure Verwandten, Olin.« Wieder hatte der Autarch den Ton eines Erwachsenen, der mit einem begriffsstutzigen Kind spricht. »Es zeigt Euer gutes Herz, dass Ihr das erkennt, so primitiv diese Verwandten auch sein mögen. Und jetzt seid still und passt gut auf, was als Nächstes kommt?«
    Der Autarch sah Olin Eddon nicht an, während er mit ihm sprach, aber Vash tat es, und ihn überraschte die Intensität des Hasses im Gesicht des Nordländerkönigs.

    Die Sonne verschwand plötzlich hinter Wolken. Der Tag war so schön warm gewesen, aber plötzlich war da in der Luft ein Unterton, der daran erinnerte, dass ja immer noch Frühling war, noch dazu ein ziemlich kalter: Von Sommer konnte noch keine Rede sein. Seufzend umfasste Idite dan-Mozan den Becher mit wärmendem Gawa etwas fester. »Nur einen Augenblick noch, Moseffir«, rief sie ihrem Enkel zu, der mit einem Stöckchen zwischen den Steinen des Innenhofs herumstocherte. »Dann gehen wir hinein, es wird Zeit für dein Abendessen.«
    »Will nicht«, sagte der kleine Junge mit der gleichen egozentrischen Bestimmtheit, die schon seinem Vater in diesem Alter eigen gewesen war — und zweifellos auch seinem Großvater, den Idite natürlich in diesem Alter noch nicht gekannt hatte. Moseffir sah sie dabei nicht an, wusste er doch, dass er sie dann nicht mehr einfach ignorieren könnte — und darin
war
er wie sein Großvater Effir.
    Beim Gedanken an ihren Gemahl, den Großkaufmann, erschien ihr der Himmel noch trüber. Vor wenigen Monaten erst hatte sie Effir verloren. An manchen Tagen war es, als ginge diese schreckliche, blutige Brandnacht allmählich in die Vergangenheit ein, so wie eine Landmarke entschwindet, die man von einem flussabwärts treibenden Kahn aus sieht. Doch in anderen Momenten, so wie jetzt, war der Schmerz so heftig, so ... lebendig, als wäre es eben erst passiert. In solchen Augenblicken musste sie gegen die Verzweiflung ankämpfen. Der einzige Grund weiterzuleben war ihre Familie. Ohne ihren Sohn, seine Töchter und den kleinen Moseffir wäre Idite vielleicht bei Landers Port ins eiskalte Meer gegangen und hätte sich dem Willen der Götter überlassen.
    Sie wusste nicht, wie lange sie ihren Gedanken nachgehangen hatte, als sie plötzlich merkte, dass da Fanu stand und auf sie wartete. Warum sagte das Mädchen keinen Ton? Aber Idite konnte nicht ärgerlich werden. Fanu war von jeher schüchtern, aber früher war sie so hübsch gewesen ...! Seit dem Brand hatte sie sich in sich selbst zurückgezogen wie eine Wüstenschildkröte in ihren Panzer. Auch in Gesellschaft der anderen Frauen, die zum Teil weit schlimmere Narben davongetragen hatten als sie, brachte sie an manchen Tagen zwischen Sonnenauf- und -untergang kaum ein Dutzend Worte heraus.
    »Was ist, Fanu-saya?«
    Die Aufmerksamkeit des Mädchens war zu Moseffir abgewandert, der mit seinem Stöckchen Grashalme köpfte. »O Herrin, ich bitte tausendmal um Verzeihung? Ihr habt Besuch.«
    Idite war verwundert. Eine merkwürdige Tageszeit für Besuch! Aber sie lächelte und straffte sich. »Wirklich? Nun, dann lass sie nicht warten — es heißt ja, die Große Mutter selbst geht manchmal verkleidet umher, um zu prüfen, ob ihr Gastfreundschaftsgebot eingehalten wird?«
    »O Herrin«, antwortete Fanu, »es ist ein Mann. Ein Fremder.« Dieses letzte Wort sagte sie, als stünde es für ein Ungeheuer mit scharfen Klauen und Reißzähnen.
    »Ach. Hat er dir seinen Namen gesagt?«
    Fanu schüttelte den Kopf. »Aber ... er sieht gut aus?«
    Das Mädchen etwas sagen zu hören, das so sehr nach der Fanu von früher klang, war noch verwunderlicher als das Geschlecht des Besuchers. »Ein Grund mehr, ihn hereinzubitten«, erklärte Idite lächelnd.

Weitere Kostenlose Bücher