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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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nicht so gesprächig wie beim letzten Mal, als sie zusammen den Tempel verlassen hatten. Ja er sagte überhaupt nichts.
    Na ja, es ist ja nur wieder so, wie es immer war, oder?
Chert machte es ohnehin nicht viel aus: Er versuchte, die Dinge im Kopf auf eine Art zu sehen, wie er sie noch nie gesehen hatte, darauf zu achten, wie die Gänge und Höhlen tatsächlich zusammenhingen, statt sich einfach mit den üblichen Zunft-Kürzeln zu begnügen, die für das Erfassen
mancher
Dinge besser waren, für andere hingegen nicht so gut. Er hatte mehrere Stücke Leuchtkoralle dabei, die größer waren als sonst auf Wanderungen üblich — wenn er auf ein Detail stieß, das für seine Karten wichtig war, wollte er es gut genug sehen können, um es genau festzuhalten.
    Sie gingen die Kaskadentreppe hinunter, doch als sie unten waren und Chert sich umdrehte, sah er Flint nicht. Kurz überkam ihn Panik — Panik und noch etwas anderes, das er nicht so leicht benennen konnte —, dann kam der Junge um die Biegung. Er war nur ein paar Stufen hinter ihm zurückgeblieben. Trotzdem, irgendetwas löste dieser Moment in Chert aus.
    Als sie weitergingen, wurde es ihm klar. Das letzte Mal waren der Junge und er auf der Suche nach Chaven hier gewesen, und Flint hatte sich tatsächlich verlaufen. Als Chert ihn gefunden hatte, hatte er gleichzeitig den Spalt in der Felswand entdeckt, aus dem der Geruch des Meeres der Tiefe drang, des silberfarbenen Sees rings um die Insel des Leuchtenden Mannes, wo Chert einige Zeit zuvor den Jungen um ein Haar für immer verloren hätte. Jetzt aber war es ein technisches Detail des Ganzen, das ihn beschäftigte.
    Auf seinen Karten hatte er das verzeichnet, was seiner Meinung nach eine Art Kamin war, der sich vom Meer der Tiefe bis an die Oberfläche des Midlanfels hinaufzog — wobei er über die Form und den genauen Verlauf dieses Kamins nur spekulieren konnte. Was er jedoch vergessen hatte, war, auch die Stelle einzuzeichnen, wo der Junge den Spalt in der Wand des Kamins entdeckt und er, Chert, den unverwechselbaren Geruch des Meers der Tiefe gerochen hatte — einen Geruch, den er immer noch nicht in Worte fassen konnte. Vielleicht war diese Stelle ja der einzige Zugang zu dem Kamin von den Mysterien aus. Sie gehörte auf die Karte.
    »Weißt du noch, Junge, wie wir das letzte Mal hier waren und du aus Versehen einen Seitengang entlanggegangen bist und mich dann gerufen hast ...?«
    Ein wenig erstaunte es Chert doch, dass der Junge sich nicht nur daran erinnerte, sondern seinen Adoptivvater prompt in eine Richtung zu führen begann, die in etwa die richtige schien.
    Der Weg kam Chert länger vor, als er ihn in Erinnerung hatte, aber es zeigte sich bald, dass Flint ihn tatsächlich genau kannte, denn er führte seinen Stiefvater durch die Fünf Bögen und die Große Unterwasserstraße entlang — jenen langen Sturmstein-Stollen, der drüben auf der anderen Buchtseite an die Oberfläche kam —, und noch ehe eine Stunde vergangen war, erreichten sie den Sackstollen und den schwarzen Spalt zwischen zwei Gesteinsplatten, der sich dann doch nicht als ein bloßer Schatten erwiesen hatte, sondern als Loch zu dem mächtigen Kamin, der vom Meer der Tiefe kam. Als Chert sich dicht an den Spalt beugte, roch er wieder den schwachen Geruch des Sees.
    »Er
muss
bis an die Oberfläche gehen«, sagte er. »Muss so sein. Warum scheint weder über der Erde noch hier unten irgendjemand davon zu wissen?«
    »Was gibt es, Papa Chert?«, fragte der Junge in diesem merkwürdig erwachsenen Ton, den er manchmal hatte. »Was sagst du?«
    »Dieser ... Kamin, das Loch da vor uns. Soweit ich es beurteilen kann, führt da ein Schacht vom ... von da, wo ich dich damals gefunden habe« — aus irgendeinem Grund scheute er sich, vom Leuchtenden Mann zu sprechen — »bis an die Oberfläche des Midlanfels.«
    »Ah.« Flint nickte, aber irgendwie hatte sein Verhalten immer noch etwas Seltsames. »Warum fließt dann das Meer nicht rein?«
    »Die Öffnung muss irgendwo oberhalb der Wasserlinie sein, sonst wäre hier tatsächlich alles überflutet«, erklärte Chert. »Der Salzsee liegt genau auf Meereshöhe, wenn also das Meer eindränge, stünde alles, was darunter liegt, unter Wasser — das Labyrinth, die fünf Bögen, sogar der Tempel.«
    Chert nahm eins der größten Korallenstücke in die Hand, zurrte seine Stirnlampe fester, damit sie nicht abfiel, und steckte dann den Arm in den Spalt. Er zog den Bauch ein, damit er auch seinen Körper

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