Das Hexen-Amulett (German Edition)
«Wehrgräben, was sonst?»
«Erwartet Mylady vielleicht den Angriff eines Kirchenchors? Es werden Soldaten sein, Ma’am, Soldaten. Wehrgräben!» Mit diesen Worten hatte er Lady Margaret den Rücken gekehrt und sie sprachlos zurückgelassen. Dem Schloss drohte ein Kampf zwischen zwei gleichermaßen hartnäckigen Köpfen.
Der Oberst hatte seine Orden nicht ohne Grund bekommen. Er wusste, wann ein Kampf Aussicht auf Erfolg hatte und wann es sich eher empfahl, Verhandlungen aufzunehmen. Nachdem er die Verteidigungsanlagen inspiziert und seine einhundertfünfzig Soldaten im Torhaus und dem Alten Haus einquartiert hatte, schloss er Frieden mit Lady Margaret. Gewieft wie er war, ersuchte er sie um ihren Rat, und suggerierte ihr dann so geschickt seine eigenen Überlegungen, dass sie am Ende glaubte, von allein darauf gekommen zu sein. Die letzten beiden Monate des alten Jahres blieben darum friedlich. Der Oberst und seine zwölf Offiziere saßen mit der Familie zu Tisch, und die Offiziere gaben es schließlich sogar auf, Campion zu belagern.
Am ersten Tag des neuen Jahres aber ging es hoch her, denn die Mörder kamen. Die Mörder und die Falken.
Sie waren schon Anfang Februar erwartet worden, hatten aber des schlechten Wetters wegen nicht herbeigeschafft werden können, und auch jetzt waren die Straßen noch tief und aufgeweicht, sodass Oberst Washington sich darüber wunderte, dass sie wohlbehalten eingetroffen waren.
Caroline eilte mit der Nachricht in die lange Galerie. «Sie sind gekommen! Sie sind da!»
Lady Margaret blickte von dem Buch auf, das sie zu binden versuchte, was ihr allerdings nicht so recht gelingen wollte. «Wer ist da? Beruhige dich, Kind, oder sind’s etwa die Engel des Jüngsten Gerichts? Es waren aber doch gar keine Trompeten zu hören.»
«Die Mörder, Mutter, die Mörder!»
Das Buch war augenblicklich vergessen. «Campion! Mein Umhang. Besorgt dir auch einen, Kind. Beeilung! Ich brauche Stiefel! Caroline, hol mir meine Stiefel. Schnell, schnell!»
Die Geschütze, auf schweren Karren herbeigeschafft und von dreißig Männern eskortiert, standen vor dem Alten Haus. Oberst Washington strahlte übers ganze Gesicht. «Sind die nicht prächtig, Lady Margaret?»
«Wir sollten sofort eine ausprobieren.»
Washington verkniff sich ein Grinsen. Er hatte vorhergesehen, dass Lady Margaret, kaum dass die Geschütze eingetroffen wären, über sie herfallen würde. Er verbeugte sich und sagte: «Selbstverständlich gebührt Euch, Mylady, der erste Schuss.»
«Wie freundlich von Euch, Oberst.»
Der König in Oxford war sehr großzügig gewesen. Er hatte vier sogenannte Falken, Büchsen mit langem Rohr, und sechs Drehbassen, Geschütze mit kurzem Rohr, schicken lassen. Die Drehbassen wurden auch «Mörder» genannt, weil sie, auf einem Drehzapfen gelagert, herumschlagen und die Männer an der Lunte töten konnten. Während die Munition für die Falken aus Vollkugeln bestand, wurden die Drehbassen mit Hagel gefüllt, also mit kleinen, in Lehmkugeln eingeschlossenen Metallsplittern, die, wie Oberst Washington meinte, eine große Schneise in das eingreifende Heer zu schlagen vermochten.
Campion sah zu, wie eines der großen Falkenrohre per Seilzug auf einen fahrbaren Holzbock herabgelassen wurde. Der Anblick machte ihr Angst. Sie dachte an Toby und stellte sich vor, wie sein Körper, von einer dieser großen Kugeln getroffen, aussähe. Die zusammengebauten Geschütze erinnerten sie außerdem daran, dass die dunklen Wolken des Krieges, die im vergangenen Jahr noch so weit entfernt schienen, nun auch auf Lazen zuzogen. Oberst Washington versuchte sie zu trösten und sagte: «Der Feind ist nicht auf uns, sondern auf größere Fische aus, Miss Campion, vor allem auf Corfe Castle. Aber wie dem auch sei, ich werde ihm auf alle Fälle Beine machen.» Der Oberst hatte schlagkräftige Patrouillen ausgeschickt, die den Feind auf Abstand halten sollten.
Lady Margaret konnte ihre Ungeduld nicht länger im Zaum halten. Sie wollte einen Mörder abfeuern, nicht zuletzt, weil ihr der Name so gut gefiel, doch Washington machte sie taktvoll darauf aufmerksam, dass der Falke ein sehr viel größeres Geschütz sei, das einen sehr viel lauteren Knall verursache. Also willigte Lady Margaret ein, ihren ersten Schuss an einem Falken auszuprobieren. Aus der Nähe sah sie zu, wie das Rohr mit Schwarzpulver gefüllt, dann mit Lumpen gestopft und schließlich mit der Eisenkugel bestückt wurde. Ein Kanonier schüttete feines
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