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Das Hexen-Amulett (German Edition)

Das Hexen-Amulett (German Edition)

Titel: Das Hexen-Amulett (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Kells
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sich vor, dass er lebte, und ließ keinen anderen Gedanken zu. Die Arme um die Knie geschlungen, wippte sie, in ihrer Strohecke hockend, mit dem Oberkörper vor und zurück und malte sich ein Leben an seiner Seite aus. Sie sah ihn an den Feinden Rache üben und mit der Schwertklinge jene Welt aufschließen, von der sie beide geträumt hatten. Sie sah Sir Grenville von ihm erschlagen und Treu-bis-in-den-Tod Hervey vor seinen Füßen um Gnade winseln. Sie sah ihren Bruder in die Knie gezwungen und stellte sich vor, ihn noch bitterer büßen zu lassen als durch schnelle Rache, nämlich durch ihr Angebot geschwisterlicher Vergebung.
    Wenn sie sich nicht in ihrer Traumwelt aufhielt, versuchte sie, Auswendiggelerntes laut aufzusagen. Sie sang zahllose Verse aus dem Hohelied Salomons und weinte, wenn sie Worte sprach wie: «… und die Liebe ist sein Schild über mir.» Sie rezitierte Psalmen, die ihr als Kind eingebläut worden waren, und kam immer wieder auf ein Gedicht zurück, das sie in Lazen Castle gelesen hatte. Sie erinnerte sich nur an die erste Strophe und war sich nicht sicher, ob sie alle Worte richtig im Sinn behalten hatte. Das Gedicht war von John Donne und trieb, wie Lady Margaret erklärt hatte, Scherz mit allzu innigen Liebesgefühlen, doch die Zeilen waren für sie wie Musik und ein großer Trost in ihrem stinkenden, kalten Rattenloch:
Wohlan, erhasch den Sternenschweif
und pflanz dich fort mit der Alraun.
Sag mir, wohin entflog der Zeiten Greif,
wer spaltete des Teufels Klau’n?
Lehr mich, der Nymphen Lied vernehmen,
allen Neid und Eifersucht verfemen
und find
den Wind,
der laut’res Glück ersinnt.
    Sie hatte das Meer noch nie gesehen – obwohl sie ihm an der Poststation von Southampton sehr nahe gekommen war – und stellte sich vor, dass es voll von singenden Meerjungfrauen sein müsste. Wie schön, dachte sie, wäre es doch, sie gemeinsam mit Toby singen zu hören und Frieden zu finden.
    Manchmal aber drohte sie zu verzweifeln. Dann dachte sie an die schreckliche Reise von Lazen Castle nach London, die sich über eine Woche hingezogen hatte, während der sie von Goodwife Baggerlie unablässig mit Gift und Galle bespuckt worden war. Obwohl entschlossen, in ihrem Gefängnis zu überleben und auszuharren, verließ sie oft der Mut. Wenn das Wasser von den Zellenwänden rann, wenn der Gestank von Urin und Kot unerträglich wurde, wenn sie, von Ratten aufgeschreckt, am ganzen Körper zitterte und nicht einmal mehr die Kraft hatte, sich von den Läusen zu befreien, die sie auf ihrer Haut sah, dann wünschte sie sich manchmal, tot zu sein, zumal sie in solchen Momenten auch Toby nicht mehr am Leben wähnte. Vielleicht, dachte sie, sangen die Nymphen auch nur für die Toten.

    «Großartig! Ausgezeichnet! Eure Männer ziehen aus den Gärten ab?» Was sich wie eine Frage anhörte, war, wie Oberst Fuller wusste, als Befehl zu verstehen.
    «Selbstverständlich, Sir Grenville.»
    «Und möglichst schnell, Oberst. Ah! Eine Loggia! Ein Jammer, dass sie unter dem Beschuss so sehr gelitten hat. Ihr könnt doch hoffentlich ein paar Maurer auftreiben?»
    «Natürlich, Sir Grenville.»
    Sir Grenville trat in den Schatten der Säulenhalle und inspizierte die durch die Belagerung entstandenen Schäden. «Und Ihr sagtet, Oberst, das Tafelsilber sei nicht gefunden worden?»
    «Ich vermute, es wurde verkauft, um die Verteidigung finanzieren zu können.»
    «Wahrscheinlich. Oder eingeschmolzen. Schade, schade.» Seine Stimme klang alles andere als enttäuscht, und enttäuscht brauchte er auch, wie er selbst fand, wahrhaftig nicht zu sein. Das Füllhorn des Erfolgs war über ihm ausgeschüttet worden. Die Burg war früher als erwartet gefallen, und Ebenezer Slythe hatte ihm tatsächlich das Siegel ausgehändigt, als er ihn – mit seiner Schwester unterwegs nach London – in Winchester getroffen hatte. Sir Grenville hatte nun zwei Siegel. Niemand, ja, wirklich niemand außer ihm würde nun drei der vier Siegel zusammenführen können. Er hatte den Bund sicher.
    Dorcas Slythe musste natürlich sterben. In einer Taverne in der Jewry Street von Winchester hatte Sir Grenville dem jungen Slythe den Haftbefehl für seine Schwester zugesteckt, in dem sie der Hexerei und des Mordes bezichtigt wurde. Ebenezer hatte, sehr zufrieden mit sich selbst, den Schriftsatz gelesen und angemerkt: «Es ließe sich noch Ketzerei hinzufügen.»
    «Ketzerei, mein Junge? Hat denn der Kuchen nicht schon genug Pflaumen?»
    Ebenezer schmunzelte

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